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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vorgesungen.«
    »Und Sie werden es wieder hören, Cravelli! Ich sagte: Ich war der glücklichste Mensch auf der Erde! Und dann kam jener furchtbare Abend. Ilona wollte mich überraschen … mit einem Geschenk, mit einem Andenken aus Venedig, von einem Goldschmied in der Stadt … so sagte sie jedenfalls im Hotel. Sie bestieg eine Gondel und kehrte nie zurück –«
    Cravelli nickte. »Tragisch. Ich kann Ihren Schmerz verstehen! Aber, um Gottes willen, warum kommen Sie jedes Jahr zu mir und erzählen mir das?«
    »Ilonas letzte Spur führte seitlich vom Canale Grande ab. Man sah ihre Gondel noch in den Canale Santa Anna einbiegen. Man sah sogar, wie sie an der Treppe des Palazzo Barbarino hielt … dort unten an der Treppe vor Ihrer Tür, Cravelli. Von da ab ist Dunkel um sie … Keiner hat sie mehr gesehen!«
    »Madonna mia!« Cravelli trank das zweite Glas leer. »Wie oft soll ich Ihnen sagen –«
    »Auch die Gondel hat man nicht wiedergefunden. Ebensowenig wie den Gondoliere. Beide galten seit diesem Abend als vermißt! Vermißt in Venedig!«
    »Das ist eine Aufgabe der Polizei, nicht meine!« Cravelli hob beide Hände. »Ich kann Ihnen immer nur das eine versichern: Ihre Gattin kam zu mir, um einen alten Familienring zu kaufen, den ich in der Zeitung angeboten hatte. Sie entschloß sich aber nicht zum Kauf und fuhr bald wieder mit der Gondel ab. Ich habe sie selbst noch bis zur unteren Treppenstufe begleitet und ihr in die Gondel geholfen! Das alles habe ich der Polizei gemeldet … vor zehn Jahren!«
    »Aber keiner hat das gesehen, was Sie getan haben wollen! Gondel und Gondoliere sind verschwunden … aber die Leiche Ilonas wurde nach fünf Tagen am Ufer des Rio Marin angeschwemmt. Geschändet und erdrosselt. Von dieser Stunde an, als ich sie im Leichenhaus so liegen sah, schwor ich mir, jedes Jahr mindestens einmal nach Venedig zu kommen, bis ich den Mörder Ilonas kenne.«
    »Und da kommen Sie zu mir?! Das ist eine Frechheit, Signore!«
    »Sie waren der Letzte, der Ilona gesehen und gesprochen hat.«
    Cravelli stellte das Glas hart auf die Spiegelplatte und ging mit stampfenden Schritten hinter seinen Schreibtisch. Sein Gesicht war rot angelaufen.
    »Lassen Sie mich damit in Ruhe!« schrie er. »Sie haben Komplexe! Man sollte Sie einsperren!«
    »Es sind Ahnungen, Cravelli. Und je mehr ich Sie in den vergangenen zehn Jahren beobachte, um so dichter rücken diese Ahnungen an die Gewißheit heran.«
    »Man sollte Sie von der Polizei abholen lassen.«
    »Warum rufen Sie nicht an?«
    »Vielleicht aus einem Gefühl von Mitleid –«
    »Soll ich lachen über diesen makabren Witz?«
    Cravelli senkte den Kopf wie ein angreifender Stier. »Gehen Sie jetzt, Signore Cramer. Sie haben wie jedes Jahr Ihre traurige Geschichte angebracht … nun ist es gut. Ich möchte schlafen!«
    Cramer setzte sich wieder in den Sessel und schlug die Beine übereinander. Cravelli kam um den Tisch herum und stellte sich an den Globus. Hätte ich nur einen der Diener hier, dachte er, wir würden ihn gemeinsam die Treppe hinunter in den Canale Santa Anna werfen. Oder wäre ich zwanzig Jahre jünger … ich hätte keine Angst vor ihm.
    »Da ist noch etwas, Cravelli«, sagte Cramer langsam.
    »Gehen Sie endlich.«
    »Nur eine Frage ist es.«
    »Wenn ich Sie damit loswerde … fragen Sie!«
    Cramers Blick heftete sich fest an das Gesicht Cravellis. Jedes Mienenspiel war jetzt wichtig, jedes leichte Zucken in den Mundwinkeln, in den Augen, an den Wangenknochen. Und dann kam die Frage, plötzlich, laut, wie ein Hieb.
    »Was halten Sie von Chemie?«
    Sergio Cravellis Herzschlag setzte einen Augenblick aus. Eine Kälte durchzog ihn wie ein Eiswind. Aber weder sein Gesicht zuckte, noch seine Hände verkrampften sich. Nur seine Augenbrauen hoben sich in grenzenlosem Erstaunen. Es war eine lange und gründlich eingeübte Reaktion, und sie trat in Erscheinung, als habe man auf einen Auslöseknopf gedrückt.
    »Chemie?« fragte Cravelli gedehnt.
    »Ja. Chemie.«
    »Was geht mich Chemie an? Ich bin Grundstücksmakler, das wissen Sie doch! Chemie ist für mich insofern interessant, daß ich feststelle, ob in einem Haus der Schwamm ist oder nicht.«
    »Und Sie kümmern sich nicht um neue, sensationelle Präparate?«
    »Ach! Haben Sie ein Mittel zur Bekämpfung des Holzbockes anzubieten?« Cravelli grinste breit. »Auch die Holzfäule macht uns Sorge … gerade in Venedig. Die Feuchtigkeit steigt von den Fundamenten auf und –«
    Cramer sprang von seinem

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