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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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hin. Am Kai schwappten Abfälle und tote Ratten.
    Der Gondoliere ruderte langsamer. »Ici le canal, mademoiselle …«, sagte er. Er sprach französisch in dem Glauben, daß sie es verstünde.
    Ilse Wagner nickte. Wie in eine lange Höhle fuhren sie hinein. Die Wände rückten aneinander, über ihnen war nur ein schmaler Streifen blauer Himmel. Der Canale machte einen leichten Bogen, wurde etwas breiter, eine alte Marmortreppe stieg in das schwarze Wasser. Auf ihr saßen drei Bettler und spielten auf einer abgegriffenen Mandoline.
    »Palazzo Barbarino?« fragte Ilse leise, als könne man sie hören oder die alten Mauern würfen ihre Stimme verstärkt zurück.
    »Oui, Mademoiselle, Palazzo Barbarino …«
    Der Gondoliere nickte erstaunt. Er ruderte nahe an der Treppe vorbei. Die Bettler winkten ihnen zu. Sie schienen das einzig Lebende in dieser Wassergruft zu sein.
    »Prego …«, sagte Ilse leise. »Halten Sie … Stop …«
    Sie sah an der alten, hohen Fassade empor, unter derem Schimmel der alte Glanz träumte. Ein Schauer überlief sie, als der Kiel der Gondel über die unter Wasser liegende Treppenstufe knirschte und hielt.
    Humpelnd kamen die Bettler heran.
    Cravelli saß in seiner riesigen Bibliothek und wartete.
    Die letzte Aussprache mit Dr. Berwaldt hatte ihm gezeigt, daß der Weg, den er als sinnvoll und erfolgreich eingeschätzt hatte, ein falscher Weg gewesen war. Weder durch Drohungen noch durch Zwang, weder mit Geld noch durch Überzeugung, weder mit Todesdrohung noch der Schilderung des grausamen Sterbens war Dr. Berwaldt zu bewegen, seine Formel herzugeben. Was Cravelli nie geglaubt hatte, bewies der stille Gelehrte: Es gab Menschen, die selbst vor dem Sterben keine Angst hatten. Das war für Cravelli so unbegreiflich, daß er seine vollkommene Niederlage einsah und nicht wußte, wie es weitergehen sollte.
    Er erwartete die Polizei. Daß sie kommen würde, stand außer Zweifel. Kein Polizeichef kann es sich leisten, auf eine solch massive Presseaktion mit einem Achselzucken zu antworten. Auch würden sie dieses Mal nicht mehr oberflächlich suchen, sondern gründlich. In dem Augenblick aber, in dem sie die Tür hinter der Bibliothekwand entdeckten, würde er den Hebel herunterreißen und alles mit einer Explosion ersaufen lassen. Das war das Ende, und Cravelli wagte nicht daran zu denken, daß auch er diesen Tag nicht überleben würde. Eine innere Verzweiflung zerriß ihn fast; er suchte nach einem Ausweg und zergrübelte sich das Gehirn, wie er Dr. Berwaldts ethische Einstellung aufweichen konnte.
    Aber die Polizei kam nicht. Sie ließ sich Zeit. Cravelli stützte den Kopf in beide Hände und wartete weiter. Er konnte nichts mehr tun. Weder für sich noch bei Dr. Berwaldt. Er konnte nur hoffen, daß nicht wie vor zehn Jahren ein Fehler geschehen war und die Körper von Patrickson und Dacore wieder auftauchten. Es blieb nur eine Gefahr … Prof. Panterosi. Er war der einzige Zeuge, daß ein angebliches Syndikat eine Erfindung Dr. Berwaldts aufkaufen wollte.
    Cravelli griff zum Telefon und rief Prof. Panterosi an.
    »Signore Professore«, rief er und gab seiner Stimme einen fröhlichen Klang. »Soeben bekomme ich einen Anruf aus Florenz. Dottore Berwaldt ist dort! Ja, in Florenz. Wo? Das weiß ich nicht. Wie? Ich wäre ein Rindvieh? Stimmt, Professore … aber ich war so glücklich, seine Stimme zu hören … da habe ich nicht gefragt. Er will in fünf Tagen wieder zurück nach Venedig kommen. Was? Dann ist Ihre Patientin tot? Oh, das ist schade, Professore … sehr schade … Vielleicht versuchen Sie, in Florenz …«
    Er hing an. Cravellis Gesicht war überstrahlt von ehrlicher Freude. Das ist er, dachte er. Das ist der Gedanke! Das kann uns alle retten! Vor dieser Situation wird Dr. Berwaldt kapitulieren!
    Er rannte aus dem Zimmer und rief nach dem Butler. Mit ihm stieg er hinauf auf den Dachboden und bestimmte drei Räume in dem Gewirr der unbewohnten Dachkammern. Er ließ sie ausräumen und herrichten.
    Man war nicht gewohnt zu fragen. Die Diener taten, wie ihnen befohlen. Cravelli selbst faßte mit an und trieb zur Eile. Dann lief er wieder hinunter in seine Bibliothek und führte eine Reihe Telefongespräche. Sie schienen ihn zu befriedigen. Er schrieb sich einige Adressen auf und verließ dann den Palazzo.
    Die Bettler auf den Treppen und hinter dem Haus waren machtlos. Aus einem in den Palazzo eingebauten, kleinen Hafen schoß Cravellis weiße Jacht ›Königin der Meere‹ heraus und fuhr

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