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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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wartete, bis sie sich setzte. Erst dann kam er näher, als wundere er sich, daß sich außer den Marktweibern jemand anderes in sein Café verirrte. Er räusperte sich und überlegte, welcher Nationalität der Gast sein könnte. Ilse Wagner enthob ihn der quälenden Suche.
    »Sie sind Deutscher?« fragte sie, ehe der Patrone etwas sagen konnte.
    »Ja.« Er sah ein wenig freundlicher aus und wedelte mit dem Serviertuch über den Tisch. »Ich bin der Besitzer des Cafés –«
    »Ah, Herr Waldtbauer! Schön, daß ich Sie gleich sprechen kann. Zunächst möchte ich eine Tasse Kaffee, ein Stückchen Obstkuchen und eine Auskunft –«
    »Bitte sehr.« Herr Waldtbauer schien Wiener zu sein. Der Tonfall seiner Sprache war singend und von nachlässiger Höflichkeit.
    »Wos is denn?«
    »Kennen Sie zufällig einen Dr. Berwaldt?«
    Waldtbauer schüttelte nachdenklich den Kopf. »Na –«, sagte er schließlich. »Den kenn i net –«
    »Ich dachte, weil die Zeitungen –«
    »I les die Journale erst zur Jausen –«
    »Ach so.« Ilse Wagner war enttäuscht. Ihre kindliche Hoffnung, daß jeder in Venedig von Dr. Berwaldt sprechen würde und daß vor allem alle deutschsprechenden Menschen sich um ihn kümmern würden, zerrann. »Ich dachte nur … Dr. Berwaldt muß eine Geschäftsverbindung mit einem Herrn aus dem Canale Santa Anna gehabt haben. Der ist doch hier dicht in der Nähe …«
    »Ja. Der zwoate Seitenkanol. Aba da gibt's nur ölte Paläste, zum Teil nicht bewohnt, z'ammfallen tun's, aba abreißen … na! Des tun's net! Des is historisch …« Herr Waldbauer war bei seinem Lieblingsthema angelangt. Seit einigen Jahren nährte er einen durchaus persönlichen Haß gegen das alte Venedig, das in den Fundamenten verfaulte und das man erhalten wollte, obwohl keiner der Touristen in die schweigenden Kanäle eindrang, sondern nur den Dogenpalast, die Piazzetta, den Markusdom und den Canale Grande bewunderte. In die fauligen, kleinen Gassen wollte niemand rein … selbst eine Fahrt unter der Seufzerbrücke war fast schon ein Abenteuer.
    Waldtbauer ereiferte sich deshalb, sobald das Thema auf die kleinen Kanäle kam. »Do warten's nun, bis so an Bau einem am Kopf fällt, und dann stützen's auch noch und jammern und lamentieren –«, rief er erregt. »Aber wenn unsers amal sich vergrößern will, da hoaßt's: Koanen Platz net! Venedig ist voll! Nix da! Basta! Venedig is überbaut, zu'baut …« Er holte Atem und sah Ilse Wagner fragend an. »Wos wollen's überhaupt im Canale Santa Anna?«
    »Einen Signore Cravelli sprechen –«
    »Den Makler? Wollen's Land kaufen? Bei dem? O Gott – haben's z'vüll Geld?«
    Ilse Wagner atmete auf. Ein Lichtblick, dachte sie. Er kennt diesen Cravelli. »Nein … ich will nichts kaufen«, sagte sie schnell. »Ich weiß auch gar nicht, was dieser Herr Cravelli ist. Eben erst höre ich es. Aber mein Chef – eben Dr. Berwaldt – muß mit ihm bekannt sein. Ich fand einen Briefumschlag von Cravelli bei ihm. Und Dr. Berwaldt ist plötzlich aus Venedig verschwunden … alle Zeitungen schreiben es! Vielleicht weiß Herr Cravelli, wo er ist? Deshalb will ich zu ihm –«
    Waldtbauer setzte sich neben Ilse auf einen seiner knarrenden Korbstühle. »Cravelli is a ekelhafter Schlawiner«, sagte er aus tiefer Seele. »Zwoamal war er in meinem Caféhaus, und zwoamal hat er g'raunzt! Über meinen Kaffee! Bei einem Wiener übern Schwoarzen schimpfen … dös is wie a Gotteslästerung! Amal war's nicht stark genug, und amal war's zu hoaß! Signore, hab i g'sagt, wann's an kalten Kaffee wünschen, bittscheen, gehn's zum Nordpol! Ganz höflich woar i …«
    »Und was hat Herr Cravelli geantwortet?« fragte Ilse Wagner. Sie mußte lächeln, trotz der inneren Erregung.
    »Nix! Wos soll er sag'n, der Schlawiner?! G'gangen is er. Aber auch net wieder kommen …«
    Nach einer Viertelstunde verließ Ilse wieder das Café Waldtbauer. Der Wiener winkte ihr eine Gondel herbei und half ihr einsteigen. »Auf Wiedersehen!« rief er. »Dos war a Freud'. Servus –«
    Die Gondel stieß ab. Fragend sah der Gondoliere auf seinen Gast. »Canale Santa Anna –«, sagte Ilse.
    Dann lehnte sie sich zurück. Was hatte sie erfahren? Cravelli war ein ekelhafter Kerl, wenigstens in der Sicht Herrn Waldtbauers. Er war Häusermakler, und hier begann bereits ein Rätsel. Was machte Dr. Berwaldt bei einem Häusermakler?
    Der Canale Santa Anna öffnete sich vor ihnen wie eine dunkle, schmale Schlucht. Ein fauliger Wind strich über sie

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