Die schweigenden Kanäle
fort zum Canale Grande. Den Bettlern blieb nichts anderes übrig, als ihre Meldung an Roberto Taccio zu schicken.
»Hat das Haus verlassen mit Jacht. Fahrtziel unbekannt. Kontrolle nicht möglich. Bleiben am Haus.«
Auch die als Gondoliere tätigen Bewacher des Canale Santa Anna verloren die weiße Jacht aus den Augen. Mit schäumendem Bug jagte sie in Richtung Chioggia durch das sonnengoldene Wasser.
In diesen Stunden von Warten und neuen Ideen war Dr. Berwaldt in seinem Kellergefängnis nicht untätig geblieben. Der innere Zusammenbruch nach dem Weggang Cravellis, die Überwindung der lähmenden Angst, die ihn befiel, dauerte nur eine kurze Zeit. Dann kam eine Art letzten, wahnsinnigen Widerstandes über ihn. Er sprang auf, rannte an die Tür und trommelte mit den Fäusten gegen die Füllung. Er trat dagegen und schrie, so laut er konnte. Aber er tat es nicht aus Angst oder Wut, sondern um zu kontrollieren, ob Cravelli auf diesen Lärm reagierte.
Niemand kam. Zufrieden ging Dr. Berwaldt in das nebenan liegende Labor und stellte sich vor die kleine, eiserne Tür. Hinter ihr liegt also unser Tod, dachte er. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, das zu wissen und davor zu stehen …
Noch einmal machte er eine Probe. Er trat gegen die kleine Stahltür. Hell gellte der Ton auf. Berwaldt wartete einige Minuten. Alles blieb still. Es war, als sei das riesige Haus unbewohnt.
Unter den Werkzeugen, die er in seinem Labor brauchte, suchte er einige Feilen, Schraubenzieher, Stemmeisen und einen großen Hammer heraus. Dann verband er einige Gasschläuche miteinander und verlängerte den an Propangas angeschlossenen Bunsenbrenner bis zu der stählernen Tür. Das Schloß war zwar ein Sicherheitsschloß, aber durchaus nicht von der Festigkeit eines Tresors. Es war eine normale Tür, die nur statt aus Holz aus Stahl bestand.
Dr. Berwaldt ging an die Arbeit. Er hielt den Bunsenbrenner dicht an das Türschloß und setzte sich auf einen Hocker daneben. Es roch zunächst nach verbranntem Lack, dann nach heißem Metall. Nach etwa 20 Minuten glühte der Stahl um das Schloß herum. Die Hitze, die ausstrahlte, brannte auf Berwaldts Gesicht.
Er stellte den Bunsenbrenner zur Seite und nahm Meißel und Hammer. Mit kräftigen Schlägen trieb er den Meißel rund um das glühende Schloß, der Stahl zerriß. Mit dicken Schraubenziehern und einem flachen Meißel bog Berwaldt das Schloß nach außen. Er keuchte unter der großen körperlichen Anstrengung, die Hitze trieb ihm den Schweiß über den Körper … Endlich gelang es. Das Schloß bewegte sich. Er hieb es mit dem Meißel heraus und zog mit einem Haken die heiße Tür auf.
Ein kleiner länglicher Raum tat sich vor ihm auf. An der Rückwand sah er ein Gewirr von Drähten und Relais, Magneten und Sicherungskästen. Alle diese Drähte liefen zusammen zu einem verkleideten Strang, der nach oben durch die Decke verschwand. An seinem Ausgang steckte der Hebel, den Cravelli nur herunterzudrücken brauchte, um das Ende herbeizuführen.
Das Herz des Todes, dachte er. So sieht es aus …
Über sich hörte er jetzt Tritte. Berwaldt packte seinen Hammer fester und ging zurück durch das Labor in das Wohnzimmer. Er stellte sich neben die Tür zur Treppe und wartete. Zu allem war er entschlossen. Wenn Cravelli jetzt herunterkam, entschied die Schnelligkeit. Sein Revolver oder Berwaldts Hammer … die Entscheidung war gekommen.
Fast zehn Minuten stand Berwaldt neben der Tür und wartete. Er hatte nie gewußt, mit welcher Ruhe er bereit sein konnte, einen Menschen zu töten. Alle Erregung war von ihm abgefallen, selbst die mühsam überdeckte Angst war wie verflogen.
In diesem Teil des Kellers hörte man keine Geräusche mehr von oben. Die Wasserwand, die draußen vor den Mauern gluckerte, schluckte alles. Das Haus muß auf einer Art flacher Sandbank gebaut sein, dachte Berwaldt. Der Hauptteil steht auf dem Land, aber ein kleiner Teil liegt unter Wasser … einige Keller und der Austritt zu dem eigenen, in das Haus hineingebauten Bootshafen. Schleusen und Pumpen regelten den Wasserstand. Alles das führte als Leitungen in dem kleinen Raum zusammen. Während er an der Tür stand, den Hammer schlagbereit in der Hand, und wartete, hörte er zum erstenmal hinter sich, durch die dicke Mauer, das leise Aufbrummen eines Motors. Dr. Berwaldt verließ seinen Posten und rannte an die Wand, drückte das Ohr dagegen und hielt den Atem an.
Kein Zweifel … ein schwerer Motor dröhnte. Hinter der dicken Wand
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