Die schweigenden Kanäle
wollte? Das ist doch absurd.«
»Welche Gemeinheit haben Sie jetzt wieder vorbereitet?«
»Ruhe, Dottore, Ruhe. Was ich eben vorbereitete, brauchte reifliche Überlegung und Zartgefühl. Ich versichere Ihnen, daß Sie vor Begeisterung heulen werden –«
Cravelli schloß hinter sich die Tür und setzte sich. Er winkte Berwaldt, es auch zu tun.
»Und bitte – den Hammer weg, Dottore!« sagte er dabei gemütlich. »Sie sind ein so großer Gelehrter … warum wollen Sie einen Schmied spielen …?« Er lachte über diesen Scherz und lehnte sich weit zurück. »Wissen Sie, wer hier war? Panterosi … der alte Griesgram! Er hat berichtet, daß Julio, der Affe, wohlauf ist.«
»Das freut mich«, sagte Dr. Berwaldt. Er spürte, wie etwas Ungeheuerliches auf ihn zukam … ungeheuerlicher als alles, was er in den letzten Tagen ertragen hatte. »Es beweist, daß mein Mittel –«
»Sie sind ein Retter der Menschheit, Dottore! Zu dieser Erkenntnis ist auch der alte Panterosi gekommen. Er hat nämlich mit dem Rest, den Sie ihm dagelassen haben, nicht allein Julio behandelt, sondern auch eine inoperable Frau …«
»Nein!« schrie Dr. Berwaldt. Er klammerte sich an dem Tisch fest und starrte Cravelli aus weiten Augen an. »Das ist doch Irrsinn! Ich habe noch nie an einem Menschen … ich habe noch gar nicht das Verdünnungsverhältnis … die Verträglichkeit … mein Gott …!«
»Keine Aufregung, Dottore. Der alte Panterosi ist aus dem Häuschen! Er läuft herum wie ein Mensch, der eine himmlische Erscheinung gehabt hat. Die inoperable Frau, die schon im Koma lag, lebt nämlich noch immer und ist im Augenblick wieder wach und bei Besinnung!«
Dr. Berwaldt sank auf einen Stuhl und schlug die Hände vor das verzerrte Gesicht. »Mein Gott …«, stammelte er. »Mein Gott …«
»Jetzt rennt er durch die Welt und sucht Sie. Ich habe ihm gesagt. Sie seien in Florenz und hätten mich von dort angerufen. Ich nehme an, daß Panterosi ganz Florenz auf den Kopf stellt! Er braucht noch zehn Injektionen, und die von allen Ärzten aufgegebene Frau kann weiterleben –«
»Sie Satan!« stammelte Dr. Berwaldt. »Sie dreifacher Satan! Ich glaube Ihnen das nicht!« Sein Kopf zuckte hoch. »Nein! Ich glaube es Ihnen nicht! Professor Panterosi wird nie diesen wahnwitzigen Menschenversuch gemacht haben! Ich glaube Ihnen das nicht eher, als bis ich selbst mit ihm gesprochen habe! Und das werden Sie nie vermitteln, weil dann Ihr ganzer Plan zusammenbricht –«
Cravelli hob beide Hände. Sein Gesicht drückte sarkastische Jovialität aus.
»Es ist Ihre Sache als Arzt, eine Frau, die man heilen kann, aufzugeben! Das müssen Sie mit sich und Ihrer Ethik ausmachen. Natürlich bringe ich Sie nie mehr mit Panterosi zusammen … aber ich habe etwas anderes, lieber Dottore. Eben das, bei dem das Herz eines jeden Arztes lacht!«
Cravelli erhob sich und lächelte Berwaldt treuherzig an. »Wie gesagt … ich habe eine schöne Überraschung für Sie –«
Er ging wieder nach oben und schloß hinter sich die Tür. In tiefer Verzweiflung blieb Dr. Berwaldt zurück.
Seit den frühen Morgenstunden fuhr Rudolf Cramer kreuz und quer durch Venedig. Von einer Zeitungsredaktion zur anderen. Überall erzählte er den gespannt lauschenden Redakteuren die große Geschichte der Tänzerin Ilona Szöke und des deutschen Forschers Dr. Peter Berwaldt. Er berichtete in allen Einzelheiten … von der Hochzeitsreise mit Ilona und ihrem Verschwinden, von der Ankunft Ilse Wagners in Venedig, wo sie niemand abholte, und von der Merkwürdigkeit, daß alle verschwundenen Personen zuletzt im Canale Santa Anna gesehen wurden.
Die Bleistifte der Redakteure knisterten über das Papier. Für zwei Presse-Agenturen sprach Cramer seine wilde Story aufs Band. Es war eine Sensation ersten Ranges, der ganz große Knüller der an sich stillen Sommersaison.
Rudolf Cramer tat ein übriges, um den Verdacht bei allen Zeitungen in eine bestimmte Richtung zu lenken.
»Ich vermute«, sagte er immer wieder, »daß zwischen dem Fall Ilona Szöke und dem Fall Dr. Berwaldt kein innerer Zusammenhang besteht … ein Lustmord an einem Mann ist absurd. Wohl aber sind hier die gleichen Täter am Werk. Ihre Motive sind klar: Auf der einen Seite ein perfekter Sexualmord … auf der anderen Seite die Jagd nach einer großen, wertvollen Erfindung, über deren Einzelheiten ich nichts weiß. Man müßte einmal nachforschen, wer im Canale Santa Anna ein Interesse an chemischen Präparaten hat. Wir
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