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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kann um Sekunden gehen. Fortissimo! Canale Santa Anna –«
    Mit einem wilden Satz schoß das Motorboot von der Kaimauer weg, drehte im Canale Grande und schäumte mit hoch aus dem Wasser springendem Bug davon. Es war lebensgefährlich, wie es um die Gondeln raste und den Gemüsebooten auswich.
    Pietro Barnese lehnte sich gegen die Hotelwand. »Das gibt ein Unglück«, stammelte er. Dann bekreuzigte er sich, sah hinüber zur Santa Maria della Salute und schlug noch einmal das Kreuz. »Madonna, sei ihnen gnädig«, sagte er leise. »Und verschone mich vor weiteren Aufregungen –«
    Die Polizeidirektion von Venedig arbeitete gründlich. Nach der Untersuchung des Appartements im Hotel ›Excelsior‹, die ohne Ergebnis blieb, fuhren sechs Polizeiboote in die schweigenden Kanäle und begannen, die Schlupfwinkel der bekannten dunklen Elemente durchzukämmen. Auch den Canale Santa Anna untersuchten sie … aber nicht vom Canale Grande aus, wo die Palazzi lagen, sondern am anderen Ende, wo das Wasser seicht wurde, wo es nach Kot und Urin stank und die Ärmsten in Pfahlbau-Hütten wohnten.
    Sie verhafteten siebenundzwanzig gesuchte Diebe, die nicht mehr untertauchen konnten, so plötzlich kam die Aktion. Aber von Dr. Berwaldt fanden sie nicht eine winzige Spur. Denn die Polizei untersuchte alle Häuser bis auf die bewohnten Palazzi. Auch den Palazzo Barbarino verschonte sie aus dem Vorurteil heraus, daß ein reicher Mann wie Cravelli es nicht nötig habe, Menschen verschwinden zu lassen oder umzubringen. Adel und Reichtum gehörten von jeher zu Venedig, und sie genossen so etwas wie eine Immunität. Lediglich einen Routinebesuch machte der Kommissar selbst bei Cravelli. Er wollte nicht seine Pflicht vernachlässigen.
    »Wenn Sie mir einen Gefallen tun können«, sagte Cravelli an der Tür beim Abschied zu dem Kommissar. »Entfernen Sie die Bettler von meiner Treppe. Sie widern mich an.«
    Der Polizeikommissar drückte Cravelli die Hand. Er hatte einige Fragen gestellt, die Cravelli sofort und elegant beantwortete. Nicht der geringste Verdacht lag auf ihm. Es war absurd, Cravellis Palazzo zu untersuchen.
    Die Polizei nahm die auf der Treppe zum Canale hockenden Bettler gleich mit. Aber schon zehn Minuten später lud eine Gondel vier neue Bettler ab. Cravelli ballte die Fäuste, aber er schwieg. Ein Venezianer kennt die Macht der Straßenhändler.

Um die Zeit, als die Polizeitruppe die hinteren Gebäude des Canale Santa Anna untersuchte, ließ Ilse Wagner ihre Gondel an der Treppe halten. Die Bettler kamen ihr entgegen … schmutzige, fratzenhafte Gesichter. Es kostete sie große Überwindung, auszusteigen und mitten unter diese Gestalten zu treten.
    »Bleiben Sie bitte hier!« rief sie dem Gondoliere auf deutsch zu. Sie wußte, daß er sie nicht verstand, aber es tat gut, ihre Stimme zu hören in dieser dunklen Wassergruft.
    Einer der Bettler trat nahe an sie heran.
    »Signorina sind Deutsche?«
    »Ja –«, sagte Ilse erstaunt. »Was … was wollen Sie?«
    »Das fragen ich dich … Was willst du hier?«
    »Ich will zu Signore Cravelli …« Ilse Wagner sah sich hilfesuchend um. Die Bettler hatten sie umringt. Es gab kein Entrinnen. Ilses Herz schlug bis zum Kehlkopf.
    »Und warum?« fragte der Bettler wieder.
    »Ich will etwas kaufen –«, sagte sie schnell.
    »Wie heißen du?«
    »Warum?«
    »Wichtig, Signorina …«
    »Ilse Wagner …«
    »Oh!« Der Bettler grinste. »War schon mal ein Wagner in Venezia! Ist hier morte … gestorben … Hat geschrieben viele Opern … laute Opern … mit viel Pauken und Posaunen … bumbum … Ist gut –«
    Der Kreis der Bettler öffnete sich. Ilse Wagner rannte die glitschigen Treppen hinauf. Vor der schweren Tür blieb sie stehen und suchte eine Klingel. Sie entdeckte den bronzenen Klopfer in dem Löwenmaul und hieb gegen die Tür.
    Lange Zeit meldete sich niemand. Dann hörte sie Stimmen hinter der Tür … sie schimpften und schienen zu drohen.
    Ilse Wagner griff wieder zu und klopfte noch einmal. Die Tür sprang auf und zwei Diener, bewaffnet mit Knüppeln, standen vor ihr. Als sie das Mädchen sahen, senkten sie die Knüppel und drohten nur zu den am Canale wartenden Bettlern hin.
    »Signorina … scusi …«, stammelte einer der Diener.
    »Ich möchte Signore Cravelli sprechen!« sagte Ilse Wagner auf deutsch. Der Aufmarsch der knüppelbewehrten Diener ließ ihr Herz stocken.
    Der Diener schüttelte den Kopf und versuchte durch Zeichen zu verdeutlichen, daß dies nicht ginge.

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