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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kräftige, lebensfrohe Fischer. Man sah ihnen an, daß eine Schar von Kindern zu ihrem Leben gehörte wie Boote und Netze.
    Emilia hatte Schmerzen bekommen. Berwaldt beruhigte sie mit einer kleinen Dosis Morphin. Nun lag sie mit glänzenden Augen, schmal und ohne Hoffnung, in den Kissen und erzählte mit schleppender, müder, immer wieder versiegender Stimme von ihren sieben Kindern.
    Berwaldt schluckte krampfhaft. Ihr werdet sterben, alle zwei werdet ihr elend sterben müssen, hätte er schreien müssen. Nicht, weil es Cravelli so will, sondern weil es für euch keine Heilung mehr gibt. Es gäbe eine Chance, sicherlich … ich könnte es versuchen mit meinem Mittel … aber euer wiedergeholtes Leben bedeutete den Tod von Millionen, auch von Ferruccio, dem armen, kleinen, schwarzen Bambino …
    Er tätschelte Emilia beruhigend die Hand und nickte Lucia zu, die weinend ein Foto ihrer Kinder betrachtete. Dann lief er hinaus und rief Cravelli über den Hausapparat an. Es dauerte lange, bis sich Cravelli meldete.
    »Ja?« fragte er kurz. »Was ist? Ich habe Besuch.«
    »Ich wollte Ihnen nur etwas mitteilen!« Berwaldts Stimme keuchte vor Erregung. »Die beiden Frauen werden sterben –«
    »Aber, aber – das können Sie doch nicht zulassen, bei der Möglichkeit …«
    »Ich gebe die Formeln nicht her! Nie! Auch jetzt nicht! Aber ich habe hier oben genug Morphium. Dafür haben Sie leichtsinnigerweise gesorgt. Es reicht für die beiden Frauen und mich vollkommen aus …«
    »Machen Sie keine Dummheit!« Cravellis Stimme war sanft und leise. Es schien, als solle der Gast nicht seine Worte verstehen. »Ich brauche weder Sie noch Ihr Opfer noch Ihr – Geheimnis! Ich werde es morgen frei Haus geliefert bekommen …«
    »Sie bluffen kindisch dumm, Cravelli …«
    »Bleiben Sie in diesem Glauben, mein Lieber. Ich habe hier Besuch. Wir essen in bester Eintracht zusammen ein kaltes Huhn und trinken Marsala. Die Dame heißt übrigens Ilse Wagner … kennen Sie sie …?«
    Es knackte. Cravelli hatte aufgehängt.
    Dr. Berwaldt fiel der Hörer aus der Hand. »Ilse Wagner …«, stammelte er tonlos. »Er hat sie aufgegriffen. Mein Gott, laß es nicht zu …«
    In sinnlosem Aufbäumen gegen sein Schicksal rannte er aus dem Zimmer, stürzte den langen Flur herunter und trommelte mit Händen und Füßen gegen die dicke Bodentür. Er hörte seine Schläge in dem weiten Haus widertönen, aber ob sie die untere Etage erreichten, wußte er nicht.
    »Ilse!« schrie er grell und hieb und hieb. »Ilse! Ilse!« Seine Handfläche sprang auf und blutete. Aber er trommelte weiter, verzweifelt, schweißüberströmt, nach Atem ringend. Er war heiser vom grellen Schreien, und er dachte nicht mehr an die beiden Frauen, die entsetzt und bewegungsunfähig in den Betten lagen und sein Toben hörten.
    Er schlug immer weiter gegen die Tür. Rhythmisch, in dem wahnwitzigen Gedanken, man könne es hören und aus den Schlägen lesen.
    Dreimal kurz … dreimal lang … dreimal kurz.
    SOS. SOS. SOS.
    Rettet mich! Rettet mit mir die Menschheit vor dem Untergang. Hilfe!
    »Es freut mich, daß Ihnen mein bescheidenes Mahl zusagt, Signorina«, meinte Cravelli, als er vom Telefon zurückkam. »Bitte, entschuldigen Sie die Störung durch das Telefon. Ein alter Bekannter, der mir ein baufälliges Haus aufschwatzen will …« Cravelli setzte sich wieder und nippte an dem Weinglas. »Ich werde Dr. Berwaldt gar nichts sagen, daß ich Sie gefunden habe. Ich habe mir das überlegt … Wenn er morgen zurückkommt aus Florenz, werden wir ihn überraschen. Ich werde sagen: Gut, diktieren wir den Vorvertrag. Ich lasse meine Sekretärin rufen … und dann kommen Sie herein. Das wird einen Spaß geben!« Cravelli lachte fröhlich und prostete Ilse Wagner zu. Er war in einer Art Hochstimmung.
    Der schwere Wein begann, sich wie Blei auf das Gehirn Ilses zu legen. Sie spürte es, weil alles, was sie in die Hand nahm, so leicht wurde, während sie das Gefühl hatte, selbst wie ein Bleiklotz in die Polsterung des Stuhles einzusinken. Sie sah auf die Uhr und stand mit großer Mühe auf.
    »Es war sehr schön, Signore Cravelli«, sagte sie mit mühsam fester Stimme. »Aber nun muß ich gehen … die halbe Stunde ist überschritten.«
    Cravelli verzog das Gesicht zu einer traurig wirkenden Grimasse.
    »Sie sind hart, Signorina. Ich stelle mir vor, daß Ihre Abendeinladung charmanter und vor allem jünger ist als ich.« Er hob theatralisch die Hände. »Das Los des alten Mannes –«

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