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Die schweigenden Kanäle

Die schweigenden Kanäle

Titel: Die schweigenden Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ist wirklich wie Silber im Mondschein.« Cravelli schüttelte bedauernd den Kopf. »Aber in unserem Falle, Signorina, heißt es, auf diesen Abend zu verzichten. Heute wenigstens … man kann den Zauber nachholen. Das ist das einmalige an Venedig: Hier verfliegt nicht eine Stunde unwiederbringlich, sondern hier werden immer neue Stunden des Glücks geboren …«
    »Sie werden ja poetisch, Signore Cravelli –«
    »Ich bin ein Sohn der ›Königin der Meere‹! Wenn ich von Venedig spreche, dichte ich. Man kann von Venedig nur in Versen sprechen. Die Alltagssprache ist zu gemein für sie …« Cravelli beugte sich über Ilse Wagner, und ehe sie ihn abwehren konnte, hatte er ihre Hand ergriffen und geküßt. »Sie müssen hierbleiben, Signorina, und mit mir essen! Nur eine halbe Stunde … sie läßt sich abziehen … Gönnen Sie einem alten Mann die Freude an der Jugend …«
    Ilse Wagner überlegte schnell. Sie sah auf ihre Armbanduhr und rechnete. Eine halbe Stunde, das war möglich. Mehr nicht. Sie nickte, aber Cravelli sah es nicht. Er stand schon in der Halle und rief nach Fausto, dem Hausmeister und Butler.
    Von Ilse war ein großer Druck genommen. Berwaldt lebte, er war in Florenz und kam morgen zurück. Auch Cravelli erwies sich bei näherer Bekanntschaft nicht als ein Mensch, in dessen Gegenwart die Kühle modriger Grüfte wehte. Im Gegenteil, je länger er sprach, um so mehr gewann er an Sympathie, vor allem, wenn er wie ein Junge von seiner Stadt schwärmte.
    »Fausto!« rief Cravelli in der Halle. »Wein, Essen. Früchte … und schnell!« Er kam zurück in die Bibliothek und hob bedauernd beide Arme. »Es geht hier noch sehr wie im Mittelalter zu. Man muß brüllen. Verzeihen Sie, Signorina. Dafür wird der Wein Sie entschädigen. Ein Marsala, schwer wie der Duft von tausenden Kamelen und süß wie das Öl einer Tonne ausgepreßter Rosen …«
    Er wartete, bis Ilse Wagner sich auf einen der hohen, geschnitzten Stühle gesetzt hatte, ehe er sich auch setzte. Aus einer blitzenden, geschliffenen Kristallkaraffe goß er einen dunklen, fast braunen Wein in hochstielige, bunte Gläser. Ein Duft wie Mandeln und gegorene Rosinen durchzog die Nische. Ilse Wagner sah erstaunt auf den braunen Wein.
    »Was ist das?« fragte sie.
    Cravelli roch an seinem Glas und schloß die Augen. Sein Gesicht war mit Behagen überzogen.
    »Ein Wein, den ich das ›Blut der Sonne‹ nenne! Er wächst südlich des Vesuvs auf vulkanischem Boden. Es ist nur ein kleines Weinstück, es ergibt nur zweihundert Flaschen pro Ernte … aber es ist ein Wein, um den selbst die Götter gekämpft haben würden.« Er hob das Glas Ilse entgegen. »Dieses Weinstück gehört mir. Wenn ich jemals glücklich werde, dann ist es, wenn ich diesen Wein trinke.« Mit verklärtem Gesicht trank Cravelli die Hälfte seines Glases leer. Ilse Wagner nippte nur. Der Wein war süß und ölig, von einem merkwürdigen, fast fauligen Geschmack, der nicht unangenehm, sondern im Gegenteil anziehend wirkte. Mit einem Kopfschütteln betrachtete sie wieder den braunen Wein.
    »Ein merkwürdiger Wein, Signore Cravelli.«
    »Herzblut der Sonne, Signorina. Ausgeschmolzen aus der glühenden Lava des Vesuvs. Die Zunge badet in einem paradiesischen Tau …«
    »Ein Poet –«, lachte Ilse.
    »Man muß es sein, um zu genießen.« Cravelli sah zur Tür. Fausto, der Hausmeister kam mit zwei anderen Dienern. Sie trugen auf großen silbernen Platten die Speisen heran und deckten den Tisch. In weißen Handschuhen, stumm, wie Automaten, ohne einen Blick auf Ilse Wagner, ohne eine Regung. Nur Fausto sah Ilse an, als er servierte. Die beiden anderen Diener verließen nach dem Aufdecken und Abstellen der Platten wieder die Bibliothek.
    Fausto legte ein Stück kalte Hühnerbrust auf Ilses Teller. Cravelli nahm sich Salat. Dabei beobachtete er seinen Gast. Sie hat die Mappe, dachte er immer wieder. Aber sie hat sie nicht bei sich. Wie wird man an die Formeln kommen, ohne sie zu zwingen? Wie kann man sie danach fragen, ohne daß es plump ist und ein Verdacht aufkommt.
    Cravelli beugte sich etwas vor. »Ich bin glücklich für diese Stunde«, sagte er galant. »Sie wissen nicht, wie dankbar ein alter Mann für einen Hauch wärmender Jugend ist –«
    In seinem Dachkammer-Krankenhaus saß Dr. Berwaldt wieder an den Betten von Lucia Tartonelli und Emilia Foltrano. Er besah sich die Fotos der Kinder, die beide Frauen mitgenommen hatten. Auch die Ehemänner waren auf den Bildern. Lachende,

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