Die Schwester der Nonne
der in die Entführung verstrickt ist?«, wandte sich der Bürgermeister an die Umstehenden.
»Von mir«, kam es von Magister Siebenpfeiffer, der bis dahin still in der Menge gestanden hatte.
»Wer seid Ihr?«, fragte der Bürgermeister stirnrunzelnd und betrachtete den Magister misstrauisch.
»Jakob Siebenpfeiffer, Magister an der hiesigen Universität, Gelehrter für Jurisprudenz und Philosophie.«
»Was habt Ihr zu der Sache zu sagen?«
»Nicht viel. Wer der Entführer der Prinzen ist, lässt sich leicht erahnen, wenn man die betreffenden Gerichtsakten kennt und studiert so wie ich. Der Ritter lag monatelang mit dem Kurfürsten im Streit.«
»Aber woher weiß es der Kaufmann Preller? Hat er auch die Akten studiert?«
Der Magister warf Hieronymus, der immer noch von zwei Soldaten der Stadtwache festgehalten wurde, einen belustigten Blick zu.
»Das ist wohl kaum anzunehmen. Ich hab’s ihm erzählt, in der Schänke bei einem Krug Wein. Und nun tut er so, als sei es seinem Gehirn entsprungen.«
Schadenfrohes Gelächter brandete auf, und schließlich lachte sogar der Bürgermeister. Nur Hieronymus errötete vor Wut und Scham.
»Lasst ihn los«, befahl der Bürgermeister den Soldaten, dann schlug er dem Kaufmann auf die Schulter. »Ihr seid ein Heißsporn, Preller, das imponiert mir. Mit dem Denken indes habt Ihr es nicht so. Ich bin froh, dass mein zukünftiger Schwiegersohn nicht mit Verbrechern unter einer Decke steckt.«
Immer noch lachend verschwand er mit dem Boten des Fürsten im Rathaus, um sich genauer informieren zu lassen, während Hieronymus auf dem Marktplatz von einer jubelnden Menschenmenge umringt wurde.
Wie er es auch drehte, Hieronymus fand, dass er dem Ritter Kunz sein Glück zu verdanken hatte.
Weitaus weniger Glück war dem tolldreisten Raubritter selbst beschieden. Konrad Kunz von Kaufungen war kein Mann der sanften Diplomatie, sondern ein Kämpfer. Ihm gehörten Schloss Stein bei Hartenstein und eine Anzahl von Ländereien. Allerdings liebte er das Raubritterwesen und war nicht abgeneigt, fahrende Kaufleute von der Straße wegzufangen.
Kurfürst Friedrich sah es ihm nach, unterstützte ihn Kunz von Kaufungen doch schlagkräftig gegen seinen Bruder Wilhelm.
Im Verlauf des fünf Jahre andauernden Bruderkrieges wurden auch Ländereien des Junkers in Mitleidenschaft gezogen. Sonst eher großzügig, was den Umgang mit fremdem Eigentum betraf, verlangte der tapfere Ritter Schadensersatz von seinem Landesherrn.
Auch wenn Friedrich sprichwörtliche Sanftmut nachgesagt wurde, war davon nichts mehr zu bemerken, als er die unverschämten Forderungen des Ritters vernahm.
»Den Verlust des Einkommens dreier Jahre macht er geltend?«, höhnte der Kurfürst. »Ist der Kerl wahnsinnig geworden?«
Dass die Gerichte, die der Ritter daraufhin bemühte, zugunsten des Kurfürsten entschieden, empfand dieser als schreiende Ungerechtigkeit. Kunz von Kaufungen fühlte sich in seiner Ehre zutiefst getroffen. Gerichte waren Anhängsel der Obrigkeit. Ein wahrer Ritter regelte solche Angelegenheiten auf andere Weise.
Die Gelegenheit war günstig. Der Kurfürst weilte in Leipzig. Das plauderte der Küchenjunge Hans aus, nachdem einer von Kunz’ Getreuen ihm ein paar Münzen zugesteckt hatte.
Der brünette Ernst mit seinen vierzehn Jahren und der zwölfjährige, blondgelockte und pausbäckige Albrecht wähnten sich auf der Burg sicher. Schließlich hatte ihr Vater dafür gesorgt, dass seine beiden einzigen männlichen Nachkommen ein sicheres Domizil hatten. Meißen erschien ihm als Aufenthaltsort für die Prinzen nicht geeignet. Das Schloss zu Altenburg dagegen war eine sichere und gut zu verteidigende Burg.
Es war kurz nach Einbruch der Dunkelheit an jenem schicksalhaften Juliabend, als aus einem hoch gelegenen Fenster der Burg lautlos eine Strickleiter herabfiel. Niemand war zu sehen. Plötzlich tauchten am Fuß der Mauer drei dunkle Gestalten auf. Es waren Kunz von Kaufungen, Wilhelm von Mosen und Wilhelm von Schönberg. Die drei bewaffneten Gesellen hielten wohlweislich ihre Gesichter verborgen. Niemand bemerkte, wie sie in die Burg gelangten. Im Schutze der Dunkelheit durchsuchten sie die Gemächer des sächsischen Herrschers.
Ritter Kunz entdeckte einen Wächter, den alten Erasmus. Er hatte leichtes Spiel mit ihm.
»Hierher«, zischte er seinen beiden Kumpanen zu und öffnete leise die Tür zum Schlafgemach der Jungen. Von Mosen und Schönberg packten die Knaben gleichzeitig und hielten
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