Die Schwester der Nonne
ächzte der Bürgermeister.
Direkt vor dem Rathaus hatte der Propst des Thomasklosters mit seinen Brüdern einen Stand eröffnet, um allen sündigen Bürger der Stadt die Möglichkeit zu geben, einen Ablass für ihre Sünden zu erlangen.
»Fürchtet den Antichristen, der euch verführen will. Zum Jüngsten Gericht wird euch schreckliche Strafe zuteil. Alle Qualen der Hölle warten auf euch. Schaut, was die Sünder erwartet.«
Einer der Mönche entrollte ein Bild mit grausigen Szenen des Martyriums im Fegefeuer. Mit einem Aufschrei des Entsetzens wichen die Menschen zurück.
»Kauft euch frei von euren Sünden«, leierte er in monotonem Singsang. »Habt ihr gestohlen, gemordet, die Ehe gebrochen, so seid ihr Sünder vor dem Herrn und müsst die Verdammnis fürchten. Eilt euch, kauft euch von euren Sünden frei und so wird euch die Hölle erspart bleiben.«
Beim Fluch des Bürgermeisters fuhr er herum.
»Wehe, dein Fluch soll deine Zunge verfaulen lassen, Bürgermeister«, wetterte Benedictus. »Reinige dich von dieser Sünde, und zwar sofort, ehe Pech und Schwefel auf uns herabregnen. Das kostet dich nur …«
»Ehrwürdiger Benedictus, Ihr seid mein Zeuge, dass der Bürgermeister mir seine Tochter zur Frau versprochen hat.« Hieronymus schüttelte den Propst mit dem Schweinegesicht beinahe aus seiner Kutte. »Bestätigt ihm das.«
»Versündige dich nicht, mein Sohn, indem du einen Diener Gottes in derart ungebührlicher Weise anfasst. Reinige dich von deinen Sünden, kaufe dich frei. Ich erteile dir die Absolution, sobald du deinen Teil in klingender Münze entrichtet hast.«
»Was willst du?«, fauchte Hieronymus und packte den Propst fester. »Du hast wohl den gefüllten Lederbeutel vergessen, den du gestern entgegengenommen hast? Soll ich deinem Gedächtnis nachhelfen?«
Der Propst wich zurück und hob abwehrend die Hände.
»Ist schon gut, ist schon gut. Selbstverständlich erinnere ich mich der hochherzigen Spende für unser Kloster. Und natürlich erinnere ich mich auch an Eure Hochzeit, mein Sohn. In sechs Tagen wird sie vollzogen sein.«
»Da hört Ihr es, Bürgermeister, da hört Ihr es«, frohlockte Hieronymus.
Inzwischen hatte der kurfürstliche Herold sein Pergament entrollt, der Stadtpfeifer trommelte und die Marktbesucher und Händler scharten sich um ihn, um zu lauschen, was er zu verkünden hatte.
»Im Namen unseres Kurfürsten Friedrich wird kundgetan, dass am Abend des siebten Juli die Prinzen Ernst und August, die Söhne unseres geliebten Kurfürsten und Landesvaters, in böser Absicht aus dem Schloss zu Altenburg geraubt wurden. Unser allergnädigster Herrscher ließ im ganzen Land die Sturmglocken läuten und nahm die Verfolgung des Unholdes auf. Da der Entführer sein Gesicht nicht zeigte, war zunächst unklar, um wen es sich handelte. In einem Schreiben bekannte sich Ritter Kunz von Kaufungen zu der Tat. Er will die beiden Prinzen nach Böhmen verschleppen. Ehrbare Bürger von Leipzig, hohe Herren wie gemeines Volk, tut alles zu seiner Ergreifung! Bedenkt jedoch, dass das Leben der jungen Prinzen nicht durch Eure Tollkühnheit gefährdet werden darf.«
Langsam drehte sich der Bürgermeister zu Hieronymus um. Dieser hatte ebenfalls gespannt dem Herold gelauscht. Ein zufriedenes Lächeln zog über sein Gesicht, und er nickte. Dem Bürgermeister war das Lächeln vergangen. Woher, zum Teufel, hatte der Kaufmann gewusst, wer hinter dieser Tat steckte? Es sei denn …
Dem Bürgermeister stockte der Atem und der Gedanke verursachte ihm Schwindel. Dann rang er nach Luft.
»Soldaten, ergreift den Kaufmann Preller! Er ist an der Entführung der Prinzen beteiligt.«
Ein Aufschrei ging durch die Umstehenden. Der Bote des Kurfürsten trat neben den Bürgermeister.
»Wie kommt Ihr denn darauf? Davon kann keine Rede sein.«
»Wieso nicht?«, verteidigte sich der Bürgermeister. »Er wusste, wer der Entführer ist, noch bevor der Herold es verkündete, also steckt er mit ihm unter einer Decke.«
Der Bote schüttelte entschieden den Kopf.
»Der Ritter hatte Helfer, aber die befinden sich in der Burg.«
Die Stadtwachen hatten Hieronymus ergriffen und hielten ihn an den Oberarmen fest.
Der Kaufmann wehrte sich wütend.
»Lasst mich los, ihr Schafsköpfe! Seht ihr nicht, dass sich der Bürgermeister nur wichtig machen will, wenn er mich verhaften lässt? Er denkt, dann braucht er mir seine Tochter nicht zur Frau zu geben.«
»Woher hat der Preller Kenntnisse, die nur jemand haben kann,
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