Die Schwester
Leidenden stattdessen
Wasser. Sie dürfen das nicht, Maestro!« Sie strich mir mit ihrer weichen Hand
über das schwitzende Gesicht.
Der Schmerz brannte jetzt, als würde ich mit dampfendem, brühend
heiÃem Wasser übergossen. Ich hörte eine hilflose, heisere Stimme. Cherubina
beugte sich erschrocken zu mir. Die Tür öffnete sich leise, Charissimas
besorgtes, starres, altes kleines Gesicht erschien im Rahmen der Haube. Sie
trat an mein Bett, beide beugten sich über mich.
»Er leidet sehr«, sagte Cherubina leise.
»Das sehe ich«, erwiderte Charissima sachlich.
Ihre groÃen dunklen Augen prüften mich mit hartem, kaltem Blick. Sie
blinzelte oft. Von den vier Schwestern war Charissima die Fremde und Gleichgültige,
so empfand ich es. Ich hatte gehört, dass sie auch gefräÃig war und oft petzte.
Dolorissa hatte sie einmal bei der Oberin angezeigt und ihr einen Diebstahl
vorgeworfen, Charissima habe aus Dolorissas Truhe ein Paar Strümpfe gestohlen.
Charissima hatte damals bei Tag und Nacht die Türen zugeschlagen, ihre Trauer
und ihr Gekränktsein hinausgeschrien. »Was soll ich denn mit ihren gestopften
Strümpfen!« So wütete und tobte sie. Sie hatte etwas Unterwürfiges, GefräÃiges,
Schadenfrohes an sich. Jetzt sah sie mich aufmerksam an.
»Ist der Unterarzt schlafen gegangen?«, fragte sie Cherubina mit
unterdrückter Komplizenstimme. Dann zuckte sie mit den Schultern und sagte:
»Warten Sie.«
Sie ging aus dem Zimmer und kehrte rasch zurück. In der Hand hielt
sie eine Spritze. Cherubina rührte sich nicht, sie hielt meine Hand.
»Dieses eine Mal«, sagte Charissima streng und hob die Decke. Ich
bestand nur aus Haut und Knochen. Mit geübten Fingern stach sie mir die Spritze
in den Schenkel. Cherubina deckte mich zu. Eine Weile standen sie noch neben
meinem Bett und beobachteten mich wortlos. Die Spritze wirkte schnell. Der
Schmerz verglomm, wie wenn ein Wasserstrahl auf Glut niederregnet. Cherubina
ging fort. Aber Charissima stand noch lange an meinem Bett, mit verschränkten
Armen, gerunzelten Augenbrauen, mit stechendem, strengem Blick. Die Erinnerung
an diesen Blick nahm ich mit mir in den benommenen Schlaf. Die Spritze muss
stark gewesen sein, ich erwachte erst am späten Vormittag. Aber der Professor
fragte nicht. Der Unterarzt untersuchte mich gleichmütig.
Nach dieser Nacht bekam ich jede Nacht Spritzen, auch mehrere; ich
musste nur läuten, und schon kam eine der Schwestern und stach mir ohne weitere
Bitte die Nadel in den Leib. Der Tag verging missmutig und apathisch; nur die
wilden Angriffe des Schmerzes holten mich aus dieser Gleichgültigkeit. Der
Professor untersuchte mich öfter, verschrieb neue Heilmethoden und Seren,
bestimmte eine andere Diät. Aber ich aà nicht und nahm erschreckend ab. Nun
wartete ich nur noch auf die Nacht, und die Nächte betrogen mich nie. Die
Krankheit war jetzt mit einer solchen Macht über mich hereingebrochen wie eine
im Untergrund lauernde Naturerscheinung, die nur auf den Augenblick gewartet
hat, auf einen Mondstand oder ein Sternbild, und jetzt mit aller Macht ihre
wirkliche Bedeutung zeigt. Neue Lähmungserscheinungen tauchten auf, schwerer
als je zuvor. Diese Symptome beobachtete ich geduldig. Jetzt sprach der
Professor nicht mehr vom Eros, und der Unterarzt erwähnte weder irgendeinen Mehrwert
noch die verletzte Weltordnung. Düster, zäh und wortlos behandelten sie mich,
als wäre eine groÃe Gefahr im Anzug und keine Zeit mehr, weiterzuraten oder zu
experimentieren. Es musste getan werden, was der Augenblick gebot. Es konnte
keine Rede mehr davon sein, dass sie mit mir diskutierten oder verhandelten.
Ich musste spüren und sehen, was für ein unabhängiger Herr ich im Krankenbett
war; ich konnte Spritzen verlangen, so viele ich wollte! Diese Zustimmung hätte
mich in anderer Situation vielleicht erschreckt; nur mit Sterbenden sind die
Pfleger so nachgiebig. Aber ich wusste bereits, dass etwas mit mir geschah,
dass einer der geheimnisvollen Augenblicke des Lebens für mich gekommen war und
es nicht darum ging, ob ich krank oder weniger krank war. Ich spürte, dass sich
etwas entschieden hatte.
Die Ãrzte, die Pflegerinnen und ich, der Kranke, wir schwiegen
darüber, als wären wir ein Bündnis eingegangen, um eine wesentliche Tat zu
vollbringen. Was war diese groÃe Tat? Der Tod? Oder die Heilung? Einfach
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