Die Schwestern des Lichts - 3
Ende erspart bleiben. Du hast eine solche Anordnung noch nie zuvor gehört, weil du noch nie erlebt hast, daß jemand das erste Angebot abgelehnt hat.«
»Ich habe Zeit in den Archiven verbracht und die Prophezeiungen durchgesehen. Dort habe ich einen Hinweis auf die Regel gefunden. Die Prälatin kennt alle verborgenen, alten Regeln. Und sie hat Angst, schließlich hat sie die Prophezeiungen auch gelesen.«
»Angst?« fragte sie fassungslos. »Die Prälatin? Ihr hat noch nie irgend etwas angst gemacht.«
Sie nickte der Frau zu. »Aber jetzt hat sie Angst. Wie auch immer, es kommt uns gelegen. Entweder legt man ihm den Halsring an, oder er stirbt. Legt man ihm den Halsring an, werden wir uns auf unsere Weise um ihn kümmern, so wie wir es immer getan haben. Ist er tot, bleibt uns das erspart. Vielleicht wäre er besser tot. Vielleicht sollte er besser sterben, bevor die Schwestern des Lichts dahinterkommen, wer er ist – wenn sie es nicht längst wissen.«
Die andere beugte sich erneut über den Schreibtisch und senkte die Stimme. »Wenn sie es wissen oder herausfinden, dann gibt es auch unter den Schwestern des Lichts einige, die ihn töten würden.«
Die hinter dem Schreibtisch betrachtete einen Augenblick lang die violetten Flecken. »Da hast du allerdings recht.« Ein Lächeln machte sich auf ihrem Gesicht breit. »Was für ein gefährliches Dilemma wäre das für sie. Und was für eine herrliche Gelegenheit für uns.« Ihr Lächeln verschwand. »Was ist mit der anderen Sache?«
Die Frau richtete sich auf. »Ranson und Weber warten dort, wo du sie haben wolltest.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie waren ziemlich großspurig, weil sie alle Prüfungen bestanden hatten und morgen freigelassen werden sollen.« Ein sadistisches Grinsen huschte über ihre Lippen und ihre fleckigen Augen. »Ich habe sie mit einem kleinen Denkzettel daran erinnert, daß sie noch immer den Halsring tragen. Eigentlich müßten wir noch hier unten hören, wie ihre Knie schlottern.«
»Ich muß Unterricht erteilen. Den wirst du übernehmen. Sag ihnen, daß ich Berichte überarbeiten müsse. Ich werde nach unseren beiden Freunden sehen. Sie mögen vielleicht alle Prüfungen der Prälatin bestanden haben, aber noch nicht alle von mir. Einer muß einen Eid schwören. Und der andere…«
Sie beugte sich halb über den Tisch, mit Hunger in den fleckigen Augen. »Welcher? Welchen wirst du … Wie gern würde ich dabei zusehen. Oder helfen. Versprichst du, mir alles zu erzählen?«
Sie mußte über den Eifer der anderen lächeln. »Alles. Ich verspreche es. Vom Anfang bis zum Ende. Jeden einzelnen Schrei. Jetzt geh und übernimm den Unterricht für mich.«
Die Frau tänzelte durch die Tür wie ein aufgekratztes Schulmädchen. Sie war übereifrig. Diese Art von Eifer war gefährlich. Diese Art der Begierde ließ einen die Vorsicht vergessen, ließ einen Risiken eingehen. Sie holte ein Messer aus einer Schublade und notierte sich in Gedanken, sie in Zukunft seltener einzusetzen und ein Auge auf sie zu haben.
Vorsichtig prüfte sie die Schneide mit dem Daumen, stellte zufrieden fest, daß sie rasiermesserscharf war, und schob sich das Messer in den Ärmel – in den Ärmel ohne die Dacra. Sie nahm eine kleine, verstaubte Figur vom Regal und ließ sie in die Tasche gleiten. Bevor sie den Schreibtisch umrundet hatte und durch die Tür war, fiel ihr noch etwas ein. Sie machte kehrt und nahm einen kräftigen Stock an sich, der an der Seite ihres Schreibtisches lehnte.
Es war spät, und die Gänge waren ruhig und zumeist menschenleer. Trotz der Hitze zog sie das kurze dünne Baumwollgewand fester um ihre Schultern. Sie fröstelte beim Gedanken an den Neuen mit der Gabe. Erwachsen. Ein Mann.
Kopfschüttelnd schritt sie über die endlosen Teppiche, vorbei an Lampen in Halterungen, die man mitten in die verzierte Kirschbaumtäfelung eingelassen hatte, vorbei an Tischen, auf denen Trockenblumen standen, und vorbei an schwer verhangenen Fenstern, von denen man die Außenmauer und den Innenhof unten überschauen konnte. Die Lichter der fernen Stadt funkelten wie ein Sternenteppich. Durch die Fenster drang leicht modrig riechende Luft herein. Vermutlich war gerade Ebbe.
Die Putzfrauen, die hier einen Sessel, dort ein Geländer polierten, ließen sich in einen tiefen Hofknicks fallen, wenn sie vorübereilte. Sie nahm kaum Notiz von ihnen, und ganz gewiß schenkte sie ihnen keine Beachtung. Das wäre unter ihrer Würde gewesen.
Ein
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