Die Schwestern des Lichts - 3
erwachsener Mann.
Beim Gedanken daran wurde ihr Gesicht heiß vor Zorn. Wie war das möglich? Jemand hatte einen schweren Fehler gemacht. Einen Fehler gemacht oder etwas übersehen. Das mußte es sein.
Ein Dienstmädchen auf Händen und Knien, das konzentriert an einem Fleck im Teppich rieb, hob gerade noch rechtzeitig den Kopf, um mit einem »Vergebt mir, Schwester« aus dem Weg zu springen. Auf Hände und Knie gestützt, berührte sie unter einer weiteren Entschuldigung den Boden mit der Stirn.
Ein erwachsener Mann. Es wäre schwierig genug gewesen, ihn umzudrehen, wäre er noch ein kleiner Junge. Aber als Mann? Sie schüttelte erneut den Kopf. Erwachsen. Niedergeschlagen schlug sie sich mit dem Stab auf die Schenkel. Zwei Dienstmädchen fuhren bei dem Geräusch zusammen, fielen auf die Knie und verbargen ihr Gesicht hinter zum Gebet gefalteten Händen.
Erwachsen oder nicht, er würde einen Rada’Han um den Hals bekommen, und ein ganzer Palast voller Schwestern würde ihn bewachen. Doch selbst mit einem Rada’Han war er noch immer ein erwachsener Mann. Und der Sucher. Vielleicht würde es schwierig, ihn zu kontrollieren. Gefährlich schwierig.
Falls erforderlich, konnte es mal wieder zu einem ›Ausbildungsunfall‹ kommen. Und wenn nicht das, so gab es für jemanden mit der Gabe gewiß noch genügend andere Gefahren, die ihm Schlimmeres als den Tod bescheren konnten. Wenn sie ihn aber umdrehen und ihn benutzen konnte, dann hätte sich all die Mühe gelohnt.
Sie bog in einen Gang ein, den sie zuerst für leer gehalten hatte, dann bemerkte sie eine junge Frau, die im Schatten zwischen zwei Lampen stand und aus dem Fenster blickte. Sie glaubte sie zu kennen. Eine der Novizinnen. Sie blieb hinter der jungen Frau stehen und verschränkte die Arme. Die Novizin tappte mit dem Fuß auf den Boden, während sie sich, auf die Ellenbogen gestützt, aus dem Fenster lehnte und das Tor unten beobachtete.
Auf ein Räuspern hin fuhr die junge Frau herum und sank in einen Hofknicks nieder.
»Vergib mir, Schwester, ich habe dich nicht kommen hören. Einen guten Abend wünsche ich dir.«
Als die junge Frau den Blick wieder hob und sie aus großen braunen Augen ansah, schob sie ihr das Ende des Stabes unters Kinn und hob es noch ein wenig höher. »Pasha, nicht wahr?«
»Ja, Schwester. Pasha Maes. Novizin im dritten Rang. Die als nächste ernannt werden wird.«
»Als nächste«, schnaubte sie verächtlich. »Mutmaßungen, Liebes, stehen einer Schwester nicht zu, und erst recht keiner Novizin. Nicht einmal einer im dritten Rang.«
Pasha schlug die Augen nieder und machte einen Knicks – so gut das mit dem Stab unter ihrem Kinn möglich war. »Ja, Schwester. Vergib mir.«
»Was tust du hier?«
»Ich schaue bloß hinaus, Schwester. Hinaus in die Nacht.«
»Du schaust hinaus in die Nacht? Ich würde sagen, du beobachtest das Tor. Irre ich mich, Novizin?«
Pasha versuchte, den Blick zu senken, doch der Stock hob ihr Kinn, so daß sie ihre Vorgesetzte ansehen mußte. »Nein, Schwester«, gestand sie, »du täuschst dich nicht. Ich habe tatsächlich das Tor beobachtet.« Sie leckte sich mehrmals über ihre vollen Lippen.
Schließlich sprudelten die Worte nur so hervor. »Ich habe etwas gehört, was man sich unter den Mädchen so erzählt. Es heißt, na ja, es heißt, drei der Schwestern seien jetzt schon lange fort, und das könne nur bedeuten, daß sie einen mit der Gabe hierherbringen. Einen Neuen. In all den Jahren, die ich hier bin, habe ich noch nie gesehen, wie man einen Neuen hergebracht hat.« Sie leckte sich wieder ihre Lippen. »Na ja, ich bin … ich meine … hoffentlich bin ich die nächste. Und wenn ich tatsächlich ernannt werden sollte, dann muß ich einen Neuen zugeteilt bekommen.« Sie knetete ihre Finger. »Ich wünsche mir so sehr, zur Schwester ernannt zu werden. Ich habe hart studiert, hart gearbeitet. Gewartet und gewartet. Und immer noch ist kein Neuer gekommen. Vergib mir, Schwester, aber ich kann nicht anders, ich bin einfach aufgeregt und hoffe, mich würdig zu erweisen. Ja, ich habe das Tor beobachtet, in der Hoffnung, zu sehen, wie ein Neuer hergebracht wird.«
»Und du hältst dich stark genug für diese Aufgabe? Für einen Neuen?«
»Ja, Schwester. Ich studiere und übe meine Formeln jeden Tag.«
Sie rümpfte die Nase und blickte auf die Novizin herab. »Tatsächlich? Zeig es mir.«
Die beiden starrten sich an. Plötzlich spürte sie, wie ihre Füße ein paar Zentimeter vom Boden gehoben
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