Die Schwestern des Lichts - 3
angreifen? Und woran ist sie gestorben?«
Der Vogelmann strich dem toten Vogel sanft das Gefieder glatt. »Vögel leben in der Luft, auf einer anderen Ebene als wir. Sie leben auf zwei Ebenen – auf dem Land und in der Luft. Sie können sich zwischen ihrer und unserer Ebene bewegen. Vögel sind sehr eng mit der Welt der Seelen verbunden. Mit den Seelen selbst. Und Eulen mehr als die meisten anderen Vögel. Sie sehen in der Nacht, wenn wir blind sind, genauso blind wie für die Welt der Seelen. Ich bin ein Seelenführer unseres Volkes. Nur ein Vogelmann kann Seelenführer sein, denn nur er versteht diese Dinge.«
Er hielt den Vogel ein wenig höher. »Dies ist eine Warnung. Ich war noch nie Zeuge, wenn eine Eule eine Warnung überbracht hat. Dieser Vogel hat sein Leben dafür gegeben, dich zu warnen. Richard, bitte denke noch einmal über deine Bitte um eine Versammlung nach. Dieser Warnung nach bedeutet die Versammlung Gefahr für dich, eine solche Gefahr, daß die Seelen diese Warnung schicken.«
Richard blickte vom Gesicht des Vogelmannes zu der Eule. Er streckte die Hand aus und strich ihr über das Gefieder. Niemand gab einen Laut von sich. »Gefahr für mich oder Gefahr für die Ältesten?«
»Für dich. Du bist es, der die Versammlung einberuft. Die Eule hat dir diese Warnung überbracht. Sie ist für dich bestimmt.« Er warf einen Blick auf Richards Stirn. »Eine Blutwarnung. Eine der schlimmsten, die es gibt. Schlimmer als diese Eule wäre es nur gewesen, hätte ein Rabe die Nachricht überbracht. Das hätte deinen sicheren Tod bedeutet.«
Richard zog die Hand zurück und wischte sich die Finger an seinem Hemd ab. Er starrte auf die tote Eule. »Ich habe keine Wahl«, sagte er leise. »Wenn ich nichts unternehme, wird der Schleier vollends reißen, und der Hüter der Toten wird ausbrechen. Unser Volk, jeder einzelne, wird von der Welt der Toten verschlungen werden. Ich muß herausfinden, wie ich das verhindern kann. Ich muß es versuchen.«
Der Vogelmann nickte. »Ganz wie du willst. Die Vorbereitungen werden drei Tage dauern.«
Richard hob den Kopf. »Ihr habt es schon in zwei Tagen geschafft. Wir dürfen keine Zeit vergeuden.«
Der Älteste atmete tief durch und seufzte. »Dann zwei Tage.«
»Ich danke dir, geehrter Ältester.« Richard drehte sich zu Kahlan um, der er den Schrecken an den Augen ablesen konnte. »Bitte, Kahlan, geh und hole Nissel und bring sie her. Ich gehe ins Haus der Seelen. Bitte sie, etwas Stärkeres mitzubringen.«
Sie drückte ihm den Arm. »Natürlich. Ich werde mich beeilen.« Richard nickte. Er zog sein Schwert aus dem Boden und verschwand in die Dunkelheit hinein.
13. Kapitel
Die Todesursache. Sie hob gedankenverloren den Kopf und drückte das runde Ende der schlichten, mit einem Holzgriff versehenen Feder an ihre Unterlippe. Das kleine, anspruchslose Zimmer wurde schwach von Kerzen beleuchtet, die auf den unordentlichen Papierstapeln ihres Schreibtisches standen. Zwischen dicken Büchern waren Schriftrollen zu wackeligen Stapeln aufgeschichtet. Die dunkle Patina der Schreibfläche war nur an einer kleinen Stelle direkt vor ihr zu erkennen und umrahmte den wartenden Bericht.
Verschiedene magische Gegenstände standen dicht gedrängt in den Regalen hinter ihr und setzten Staub an. Die allgegenwärtigen und emsigen Putzkolonnen durften sie nicht berühren, damit blieb die Aufgabe, sie zu entstauben, an ihr hängen, doch sie hatte nie genügend Zeit, verspürte nie die rechte Lust. Zumal die Fläschchen unter einer Schicht Staub weniger bedeutsam aussahen.
Schwere Vorhänge waren zugezogen und sperrten die Nacht aus. Den einzigen Farbtupfer im Zimmer bot ein gelb-blauer Teppich, der auf der anderen Seite vor dem Schreibtisch lag. Für gewöhnlich verbrachten Besucher dieses Arbeitszimmers ihre Zeit damit, ihn gesenkten Hauptes anzustarren.
Die Todesursache. Berichte bereiteten nichts als Verdruß. Sie seufzte. Doch ein Verdruß, der sich nicht umgehen ließ. Zumindest nicht im Augenblick. Im Palast der Propheten wurden gewaltige Mengen von Berichten benötigt. Es gab Schwestern, die ihr ganzes Leben in Bibliotheken verbrachten, Berichte katalogisierten, sie umhegten und jedes noch so nutzlose Wort, das ihrer Meinung nach vielleicht eines Tages wichtig werden könnte, für die Ewigkeit aufbewahrten.
Nun, es blieb nichts anderes übrig, als sich eine passende Todesursache einfallen zu lassen. Die Wahrheit genügte einfach nicht. Ihre Schwestern mußten eine
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