Die Schwestern des Lichts - 3
besitzt er allerdings. Das war ein Grund, weshalb ich ihn in Westland versteckt hielt. Obwohl ich nicht sicher war, befürchtete ich, er könnte die Gabe besitzen, und wollte ihn vor Gefahren schützen. Wie du gesagt hast, der Hüter giert nach denen, die die Gabe besitzen, mehr als nach irgendwelchen anderen Menschen. Ich wußte, wenn ich beginne, ihn zu unterrichten, und dabei selbst sehr viel Magie einsetze, würde ich ihn der Gefahr aussetzen. Ich wollte, daß er aufwächst und einen starken Charakter bekommt, bevor ich ihn prüfe – und unterrichte, falls er die Gabe hätte. Ich hatte schon immer vermutet, daß er sie besäße. Manchmal hoffte ich, er hätte sie nicht. Aber jetzt weiß ich, daß er sie besitzt. Er hat sie benutzt, um Darken Rahl aufzuhalten. Er hat Magie benutzt.«
Er beugte sich vor. »Vermutlich hat er die Gabe sowohl von seinem Großvater als auch von seinem Vater. Von zwei unterschiedlichen Geschlechtern von Zauberern.«
»Verstehe«, war alles, was sie sagte.
»Doch im Augenblick müssen wir uns um wichtigere Dinge kümmern. Darken Rahl hat die Kästchen der Ordnung ins Spiel gebracht. Er hat eins aufgemacht – das falsche, wenigstens für ihn. Aber vielleicht auch für uns. In der Burg existieren Bücher, in denen von großen Gefahren die Rede ist. Wenn die Kästchen eingesetzt werden, wenn die Magie der Ordnung eingesetzt wird, selbst wenn die Person, die sie ins Spiel bringt, einen tödlichen Fehler begeht – so lautet die Warnung dort –, kann dadurch der Schleier trotzdem einen Riß bekommen.
Adie, ich weiß nicht so viel über die Unterwelt wie du. Du hast sie den größten Teil deines Lebens studiert. Ich brauche deine Hilfe. Du mußt mich nach Aydindril begleiten, um die Bücher zu studieren und zu sehen, was wir tun können. Ich habe viele von ihnen gelesen und nicht sehr viel verstanden. Vielleicht gelingt es dir. Selbst wenn dir nur eine Kleinigkeit auffällt, die ich übersehen habe, könnte das von Bedeutung sein.«
Sie starrte mit bitterer Miene auf den Tisch. »Ich bin eine alte Frau. Ich bin eine alte Frau, die den Hüter in ihr Herz gelassen hat.«
Zedd sah sie an, doch sie wich seinem Blick aus. Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf. »Eine alte Frau? Nein. Eine törichte Frau, vielleicht.« Sie antwortete nicht. Ihr Blick blieb geradewegs auf den Tisch gerichtet.
Zedd schlenderte im Raum umher und begutachtete die an der Wand hängenden Gebeine. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und studierte die Talismane der Toten.
»Dann bin ich womöglich auch nur ein alter Mann? Ein törichter alter Mann. Vielleicht sollte ich dies einem jungen Mann überlassen?« Er warf einen Blick über die Schulter. Sie beobachtete ihn. »Wenn aber ein junger Mann gut ist, vielleicht wäre dann ein jüngerer noch besser? Ja, warum sollte man es nicht gar einem Kind überlassen? Das wäre noch viel besser. Vielleicht gibt es irgendwo einen Zehnjährigen, der bereit wäre, irgend etwas zu unternehmen, um zu verhindern, daß die Toten die Lebenden verschlingen?«
Er warf die Arme in die Luft. »Wenn es nach dir geht, ist Wissen scheinbar unnütz, und nur die Jugend zählt.«
»Jetzt führst du dich wirklich töricht auf, alter Mann. Du weißt genau, was ich meine.«
Zedd trat an den Tisch zurück und zuckte mit den knochigen Schultern. »Wenn du einfach hier in diesem Haus rumsitzt, anstatt mit deinem Wissen zu helfen, dann bist du vielleicht tatsächlich das, was du am meisten fürchtest: ein Agent des Hüters.«
Er stemmte seine Fäuste auf den Tisch, beugte sich über sie und funkelte sie an. »Wenn du ihn nicht bekämpfst, dann hilfst du ihm. Das war doch die ganze Zeit sein Plan. Er wollte nicht, daß du dich ihm zuwendest, sondern daß du Angst bekommst, ihn aufzuhalten.«
Sie sah ihm in die Augen. Beklommenheit stahl sich in ihren Blick. »Was soll das heißen?«
»Er hat bereits alles getan, was er tun mußte, Adie. Er hat dafür gesorgt, daß du dich vor dir selbst fürchtest. Der Hüter hat unendliche Geduld. Du mußt nicht für ihn arbeiten. Es kostet Mühe, jemanden umzudrehen, der die Gabe hat. Die Mühe warst du ihm nicht wert. Ihm war nur wichtig, daß du nicht gegen ihn arbeitest. Er hat nur das Nötige getan. Mehr Mühe hat er nicht vergeudet. In mancherlei Hinsicht ist er für diese Welt so blind wie wir für seine. Er hat hier nur bedingt Einfluß und muß sich sorgfältig überlegen, was er tut. Die Macht, die er hier hat, vergeudet er nicht
Weitere Kostenlose Bücher