Die Schwestern des Lichts - 3
die Stirn. »Tatsächlich? Davon habe ich gar nichts gewußt.«
Sie holte tief Luft, um ihren Zorn im Zaum zu halten, und widersprach ruhig: »Nathan, ich selbst habe es dir schon dreimal erzählt.«
Er schlug die traurigen Augen nieder. »Das tut mir leid, Margaret.«
» Schwester Margaret.«
»Schwester? Ihr? Ihr seid viel zu jung und anziehend für eine Schwester. Ihr seid sicher noch Novizin.«
Sie erhob sich. »Gute Nacht, Nathan.« Sie klappte das Buch zu und wollte es vom Tisch nehmen.
»Setzt Euch, Schwester Margaret.« Seine Stimme klang jetzt wieder bedrohlich und war voller Kraft.
»Du hast mir nichts mitzuteilen. Ich werde jetzt in mein Bett zurückkehren.«
»Ich habe nicht gesagt, ich hätte Euch nichts mitzuteilen, ich habe gesagt, ich hätte keine Prophezeiung für Euch.«
»Wenn du weder eine Vision noch eine Prophezeiung hast, was in aller Welt kannst du mir dann mitzuteilen haben?«
Er zog die Hände aus den Ärmeln, stützte sich mit den Knöcheln auf das Pult und beugte sich weit zu ihr vor. »Setzt Euch, oder Ihr erfahrt es nie.«
Margaret überlegte, ob sie von ihrer Macht Gebrauch machen sollte, entschied jedoch, es würde einfacher und schneller gehen, wenn sie ihm den Gefallen tat und sich setzte. »Also gut, ich sitze. Um was geht es?«
Er beugte sich noch weiter vor, seine Augen wurden weit. »Es hat eine Gabelung in den Prophezeiungen gegeben«, meinte er im Flüsterton.
Sie merkte, wie sie sich langsam aus dem Sessel erhob. »Wann?«
»Heute erst. Genau an diesem Tag.«
»Und warum hast du mich dann mitten in der Nacht gerufen?«
»Ich habe gerufen, gleich nachdem ich sie hatte.«
»Und warum hast du nicht bis zum Morgen gewartet, um uns das mitzuteilen? Es hat doch früher schon Gabelungen gegeben.«
Er schüttelte bedächtig den Kopf und lächelte. »Keine wie diese.«
Sie war nicht begeistert, den anderen davon erzählen zu müssen. Niemand würde von dieser Geschichte begeistert sein. Das heißt, niemand außer Warren. Jedes Teilchen, das in das Puzzle der Prophezeiungen paßte, machte ihn glücklich. Die anderen wären jedoch alles andere als glücklich. Diese Gabelung bedeutete jahrelange Arbeit.
Einige Prophezeiungen folgten dem ›Wenn-dann-Prinzip‹ und gabelten sich in mehrere Möglichkeiten. Es gab Prophezeiungen, die jedem Zweig folgten und die Ereignisse an jeder Gabelung voraussagten, da nicht einmal die Prophezeiungen immer wußten, was sich nun tatsächlich ereignen würde.
Wenn sich eine dieser Prophezeiungen erfüllte und dadurch festlegte, welche Möglichkeit zur Wirklichkeit werden würde, dann hatte sich eine Prophezeiung gegabelt, wie man es nannte. Sämtliche Prophezeiungen, die die für nichtig erklärten Möglichkeiten weiter verfolgten, wurden zu falschen Prophezeiungen. Diese verzweigten sich dann wie Aste eines Baumes und überfrachteten die heiligen Prophezeiungen mit verwirrenden, widersprüchlichen und falschen Angaben. Wenn es zu einer Gabelung gekommen war, mußte man den zum gegenwärtigen Zeitpunkt bekannten Prophezeiungen, von denen man nun wußte, daß sie falsch waren, nachgehen, soweit man sie verfolgen konnte, und sie dann herauslösen.
Eine gewaltige Aufgabe. Je weiter das fragliche Ereignis von der Gabelung entfernt war, desto schwieriger war es festzustellen, ob es sich um eine falsche oder eine echte Gabelung handelte. Schlimmer noch, es war schwer zu sagen, ob zwei Prophezeiungen, die aufeinanderfolgten, zusammengehörten oder ob sie sich in einem Abstand von tausend Jahren erfüllen würden. Manchmal halfen die Geschehnisse selbst bei der Entscheidung, sie chronologisch einzuordnen, doch eben nur manchmal. Je größer die zeitliche Entfernung von der Gabelung, desto schwieriger wurde es, sie zueinander in Beziehung zu setzen.
Die Arbeit würde Jahre dauern, aber selbst in dieser Zeit konnte man mit Sicherheit nur einen Teil erledigen. Bis zum heutigen Tag wußte niemand je sicher, ob er eine echte Prophezeiung vor sich hatte oder den falschen Abkömmling einer Gabelung aus der Vergangenheit. Aus diesem Grund hielten manche die Prophezeiungen bestenfalls für unzuverlässig, im schlimmsten Fall für nutzlos. Wenn sie jetzt aber eine Gabelung kannten und damit auch die echten und die falschen Abzweigungen, stellte das einen wertvollen Anhaltspunkt dar.
Sie sank in den Sessel zurück. »Wie wichtig ist die Prophezeiung, die sich gegabelt hat?«
»Es ist eine Kernprophezeiung. Es gibt keine, die wichtiger
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