Die Schwestern des Lichts - 3
Wir haben nicht die Macht, ihn abzunehmen, bevor du uns nicht helfen kannst, mit deiner eigenen Kraft. Und das kannst du einzig dadurch erreichen, daß du lernst und akzeptierst, wer du bist.
Und jetzt mußt du als allererstes etwas über den Hüter lernen und über den Schöpfer und über das Wesen dieser Welt. Dein Problem, das Problem, das die meisten Menschen haben, das Problem, das auch Warren hat, besteht darin, daß du die Welt des Jenseits vom Standpunkt dieser Welt aus zu verstehen suchst.
Gut und Böse, Schöpfer und Hüter, bilden ein Chaos, das in zwei entgegengesetzte Kräfte aufgespalten ist. Obwohl die beiden sich gegenseitig verabscheuen, so sind sie dennoch voneinander abhängig und können ohne den jeweils anderen nicht existieren. Sie bedingen sich gegenseitig. Unser Kampf, unser Existenzkampf in dieser Welt, bewahrt dieses Gleichgewicht.«
Richard hielt zwar den Mund, aber er konnte nicht verhindern, daß seine Stirn sich in Falten legte.
»Aus dem Schöpfer entspringt das Leben, die Seele des Lebens. Es erblüht in dieser Welt. Ohne den Hüter, ohne den Tod, kann es kein Leben geben. Ohne den Tod wäre das Leben zeitlich unbegrenzt.
Kannst du dir eine Welt vorstellen, in der niemand jemals stirbt? In der jedes Neugeborene überlebt? Auf ewig? In der jede Pflanze, die keimt, zur Blüte gelangt? In der jeder Baum ewig lebt und jeder Samen keimt und zu einem Baum heranwächst?
Was geschähe dann? Wie könnten wir essen, wenn wir kein Tier töten, kein Getreide ernten könnten, wenn alles ewig lebte und nicht sterben könnte? Ein niemals endendes Leben in nagendem Hunger wäre die Folge. Die Welt der Lebenden ginge im Chaos unter und vernichtete sich selbst für immer.
Der Tod, die Unterwelt, wie ihn manche nennen, ist ewig. Du stellst ihn dir vom Standpunkt dieses Lebens aus vor. In der Ewigkeit hat Zeit keine Bedeutung, keine Dimension. Für den Hüter ist eine Sekunde oder auch ein Jahr bedeutungslos.
Nur durch die Menschen, die ihm in dieser Welt dienen, erlangt der Hüter eine Dimension der Zeit. Auf ihr Drängen hin treibt er seinen Kampf voran, denn sie haben einen Begriff von Zeit. Er braucht die Lebenden, wenn er erfolgreich sein will. Die Versprechungen, die er ihnen macht, sind verlockend, und sie gieren danach, daß er obsiegt.«
»Und welche Rolle spielen nun die Lebenden dabei?«
»Wir teilen und bestimmen das Chaos mittels Ordnung und halten es dadurch getrennt: Licht und Dunkel, Gut und Böse. Die Ausgewogenheit, das sind wir.
Wir sind wie die Entengrütze, die auf der Oberfläche eines Teiches treibt. Die Luft darüber ist der Schöpfer, die Tiefen darunter der Hüter. Die Seelen der Lebenden, die vom Schöpfer herabgestiegen sind, erblühen an diesem Ort zum Leben, und wenn sie sterben, sinken sie hinab in die Welt der Toten.
Doch das bedeutet nicht, daß dieser böse ist. Böse, das ist ein Urteil, das wir ihm auferlegen. Der Hüter ist wie der Schlick am Grunde des Teiches. Die Seelen der Toten wohnen überall, angefangen von den Tiefen dieses Chaos und des Hasses in der Nähe des Hüters, bis in die Nähe der Lebenden, in die Nähe des Lichts des Schöpfers. Es ist die Hoffnung der Lebenden, die Ewigkeit in der Wärme dieses Lichtes zu verbringen.
Wir, die Lebenden, sind es, die die Welten trennen und sie zu beiden Seiten des Lebens bestimmen. Magie ist das Element, das dieser Welt die Kraft dazu gibt. Magie ist der Ausgleichspunkt.
Der Hüter würde gern die Welt der Lebenden verschlingen, um zu triumphieren. Dazu muß er die Magie ausmerzen. Gleichzeitig jedoch muß er, um zu triumphieren, Magie einsetzen, um das Gleichgewicht zu kippen.«
Richard hatte Mühe, den Kopf nicht in den trüben Wassern der Verwirrung zu verlieren. »Und Zauberer haben die Kraft, diese Ausgewogenheit zu beeinflussen?«
Sie stand noch immer über ihn gebeugt. Sie hob den Zeigefinger. »Ja. Und du besitzt beide Seiten der Magie.« Ihr Lächeln löste sich auf eine Weise auf, die ihm den Atem raubte. »Das macht dich zu einem äußerst gefährlichen Menschen, Richard.
Du besitzt beide Seiten der Gabe, du hast die Kraft, den Schleier zu richten oder zu zerstören. Es gibt gute Menschen, die dich im Handumdrehen töten würden, wüßten sie von deiner Kraft – aus Angst, du könntest uns alle, wenn nicht absichtlich, so doch aus Versehen, vernichten.«
»Und Ihr? Gehört Ihr auch zu denen?«
»Wenn, dann hätte ich deinem Vater nicht geholfen, das Buch der Gezählten Schatten zu
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