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Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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vertrauteste Person in Augustas Leben gewesen. Anneke war mit ihr nach all den Jahren auch nach Hamburg zurückgekehrt, wie der alte Blohm, Claes’ lebenslanger Diener, war sie im vergangenen Winter gestorben.
    In ihren Sessel zurückgelehnt, gab sie flüchtig der Überlegung Raum, warum Gott sie noch auf dieser Welt ließ – wozu? –, und rief sich umgehend zur Ordnung. Sie nahm einen tüchtigen Schluck von ihrem Lebenselixier, noch einen, schüttelte sich, als der Alkohol durch ihre Kehle rann, und sagte laut und klar: «Keine weinerlichen Gedanken, Augusta, dafür bist du zu alt.»
    Und dazu hast du keinen Grund, fügte sie in Gedanken hinzu, du lebst wohl versorgt mit weltlichen Gütern und mit aller Bequemlichkeit in einem schönen Heim, umgeben von dir wohlgesinnten Menschen, von einigen sogar geliebt, du bist bis auf einige dem Alter gedankte Zipperlein gesund – wie vermessen, nicht dankbar zu sein.
    Sie musste einfach ein wenig mehr auf sich achtgeben und sich hier und da eine Schwäche und eine Ruhepause zugestehen. Was natürlich sehr langweilig wäre. Auf diese Weise hätte sie heute nicht Mollys Geschichte gehört. Diese war just eine solcher Geschichten, wie sie aus vagen Ängsten entstehen. Nun lächelte sie doch bei dem Gedanken an die letzte Stunde, die sie in der Küche bei ihrer Aushilfsköchin verbracht hatte. Molly hatte in Augustas Augen eine ordentliche Portion Lebenstüchtigkeit bewiesen, indem sie das tat, was sie am besten konnte und unter ihren Aufgaben am meisten liebte. Was gab mehr Halt, wenn Zweifel und Unsicherheiten gebannt werden mussten?
    Molly hatte sich, kaum dass sie mit Augusta von ihrem Ausflug ins Waisenhaus zurückgekehrt war, in der Küche im Souterrain des Hauses an die Herstellung von köstlichem Konfekt gemacht. Da Augusta ihr gefolgt war, hatte sie eine halbe Handvoll der erst am frühen Morgen gerösteten Kaffeebohnen gemahlen und aufgebrüht, während Augusta die Bank an den großen Arbeitstisch zog, sich setzte und darunter mit erleichtertem Seufzen die drückenden Schuhe abstreifte. Sie rührte Zucker in ihren Kaffee, so liebte sie ihn zurzeit, nicht mit Mandelmilch, Kardamom, Anis, Zimt oder anderen Zusätzen, einfach nur Kaffee mit viel Zucker.
    «Wunderbar», sagte sie nach dem ersten genussvollen Schluck, stellte die Tasse auf den Tisch und blickte Molly streng an, «und jetzt möchte ich hören, was heute in deinem Kopf vorgegangen ist.»
    «Wegen des Konfekts?» Das Messer in Mollys Hand sauste noch ein bisschen schneller durch die Mandeln.
    Augusta lächelte und schwieg abwartend. Endlich ließ Molly das Messer sinken, wischte die Hände an der Schürze ab und setzte sich Augusta gegenüber. Sie zog die Schale mit den Pistazien und den getrockneten Aprikosen heran, aber sie nahm keine heraus. «Es ist lächerlich», sagte sie.
    «Macht nichts. Es beschäftigt dich, das reicht. Ich glaube einfach nicht, dass du mich ins Waisenhaus begleiten wolltest, ‹nur um mal zu sehen, wie es da ist›.»
    «Doch, Madam Augusta, genau das wollte ich.»
    «Aha. Wolltest du. Warum?»
    Molly griff nach einer Aprikose, wählte ein feineres Messer aus und begann die getrocknete Frucht in hauchfeine Scheiben zu schneiden. «Na gut, aber Ihr dürft nicht lachen. Ich wollte prüfen», ein unsicherer Blick flatterte zu Augusta, «ja, prüfen, ob ich mich erinnere.»
    «Ob du dich erinnerst!? Heißt das, deine Eltern hatten vor langer Zeit so schwere Jahre, dass sie dich ins Waisenhaus geben mussten? Weil sie dich nicht ernähren konnten?»
    «Das geht?» Molly sah mit neuem Interesse auf.
    «Sicher. Obwohl in solchen Situationen, wenn wirklich gar nichts anderes geht, oft das Werk- und Zuchthaus die Endstation ist. Das ist hier nun mal das Arbeits- und Armenhaus. Für die ganze Familie. Häufiger nur für die Mütter und Kinder, die Väter sind dann oft längst durchs Tor hinaus und über alle Berge.»
    «Nein, so kann es nicht gewesen sein. Ich bin erst in den letzten Monaten darauf gekommen. Seit», sie schluckte, und ihr rundes Mädchengesicht wurde blass, «seit …» Das Messer in ihrer Rechten zerhackte im zornigen Stakkato die nächste Aprikose.
    «Wenn es um den zweiten Mann deiner Mutter geht, um deinen Stiefvater …»
    «Ich wäre dankbar, wenn Ihr ihn nicht so nennen würdet», fiel Molly ihr mit ungehöriger Schärfe ins Wort, «er ist mir kein – Vater.»
    «Genau das wollte ich sagen, mein Kind. Wenn es dir schwerfällt, darüber zu reden, musst du nicht

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