Die Schwestern vom Roten Haus: Ein historischer Kriminalroman (German Edition)
erklären, warum du dich zu Hause unwohl gefühlt hast. Elsbeth hat es mir erzählt, nur mir», beruhigte sie Molly schnell, «niemand sonst weiß davon und wird es auch zukünftig nicht erfahren. Elsbeth kennt und schätzt dich sehr, Molly. Als sie dich als Vertretung in ihrer Küche empfahl, fand sie es besser, wenn ich um diese Geschichte wüsste. Nur falls während ihrer Abwesenheit ein Problem mit deiner Familie entstünde.» Überflüssig, zu erwähnen, dass Elsbeth sich eher gesorgt hatte, der Hausherr könne Molly ob ihrer geringen Fähigkeiten in Sachen Braten, Suppen und Soßen nach Hause schicken. «Sie hat mich gebeten, nicht zuzulassen, dass du zurückkehrst, es sei denn, du selbst willst es unbedingt. Dabei wollen wir es belassen. Nun kannst du mir Kaffee nachschenken, und nimm dir endlich selbst eine Tasse, bevor du die nächste Aprikose massakrierst.»
Was Elsbeth Madam Augusta anvertraut hatte, war eine dieser alltäglichen, doch tief schmerzenden und verstörenden Familiengeschichten. Mollys Mutter hatte ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes, des Feinbäcker- und Konditormeisters Runge, wieder geheiratet. Das war das Übliche, eine Werkstatt brauchte nun mal einen Meister. Molly hatte längst alles gelernt, was ihr Vater ihr beizubringen vermocht hatte, und ein besonderes Talent für die Herstellung und Erfindung neuer Sorten von Konfekt bewiesen. Natürlich hatte sie als Mädchen keine ordentliche Lehr- und schon gar keine Gesellenzeit absolviert, trotzdem wusste jeder, das beste Konfekt machten nicht Steffen Runge oder seine Gesellen, sondern seine Tochter. Aber Molly konnte nicht Meisterin werden und die Bäckerei weiterführen. Schließlich war sie kein Mann. Nicht nur Augusta Kjellerup war gespannt, wie es jetzt, da Molly das Haus verlassen hatte, dort weitergehen werde.
Nach Runges frühem Tod hatten alle angenommen, Mollys Mutter werde den langjährigen ältesten Gesellen ihres verstorbenen Mannes heiraten, so wie es alter Brauch gewesen wäre. Als der ihr, sobald es die Schicklichkeit zuließ, mit aller Ehrerbietung einen Antrag machte, lehnte sie ab. Nicht weil sie die übergroße Trauer über Runges Tod noch nicht überwunden hatte, wie die Gutwilligen flüsterten, sondern weil sie heimlich schon einem anderen Kandidaten den Vorzug gegeben hatte. Zumindest in ihren Träumen und Phantasien schon im Jahr vor Runges Tod, wie die Missgünstigen flüsterten. Bruno Hofmann war Konditorgeselle aus Bergedorf, der hamburgisch-lübeckischen Enklave hinter den Vier- und Marschlanden. Er war gute zehn Jahre jünger als seine einträgliche Braut, und dass diese Ehe wohl für ihn, keineswegs aber für sie zuvörderst mit Vernunft zu tun hatte, konnte bald jeder sehen, der ein Auge für Angelegenheiten des Herzens hatte.
Schon wenige Wochen nach der Hochzeit fühlte Molly sich gezwungen, dem Mann ihrer Mutter möglichst auszuweichen, was nahezu unmöglich war, da sie nach wie vor in der Backstube und am Verkaufstisch stand, ihr Konfekt zauberte und die Kundschaft bediente. Immer in der Nähe des neuen Meisters, der nicht die Finger von der rosenfrischen, wohlgerundeten Stieftochter lassen konnte. Und, was noch schlimmer war, auch nicht wollte.
«Ich hätte es meiner Mutter gerne gesagt, aber wie sollte ich das? Sie machte mir schon Vorwürfe, dass ich wohl eifersüchtig, jedenfalls nicht freundlich genug sei. Als sie endlich sah, wie ‹freundlich› er zu mir war, gab sie mir die Schuld. Es nütze gar nichts, wenn ich ihn jetzt anschwärze, schrie sie, er sei ein guter Mann, treu und fleißig, und ich vergäße wohl, dass ich dankbar sein müsse. ‹Hätte ich dich doch den Leuten vom Rödingsmarkt überlassen, aus reiner Gutheit haben wir damals …›, dann verstummte sie plötzlich, sah mich erschreckt an und rannte aus der Stube. Ich sehe das alles vor mir, ihre erschreckten Augen, als wäre es vor fünf Minuten passiert.»
Molly schwieg, es war so still im Haus, dass man das Ticken der großen Standuhr in der Diele hörte. Aus dem Kontor hingegen drang kein Ton, Claes war in der Börse oder schon zum anschließenden üblichen Treffen der Kaufleute in Jensens Kaffeehaus , die Schreiber arbeiteten still im Kontor, Niklas steckte in irgendeiner Bibliothek, nur irgendwo in den oberen Etagen liefen Valerie und die anderen beiden Mädchen eifrig hin und her.
«Verzeih, Molly, aber das war doch sicher nur so ein unbedachter Satz, in der Erregung hingesprochen. Außerdem ist der Rödingsmarkt eine
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