Die Schwestern von Rose Cottage: Melanie (German Edition)
Löffel durch den Raum. „Ich hasse Eiscreme.“
Einen Moment lang schien Melanie über den Wutausbruch des Kindes schockiert zu sein, und Mike erwartete fast schon, dass sie sich hastig mit dem Gang zur Toilette entschuldigen würde. Zu seiner Überraschung ergriff Melanie jedoch nicht die Flucht, sondern schob nur gelassen ihren eigenen Eisbecher zur Seite.
„Ich habe auch genug vom Eis“, erklärte sie, obwohl sie den Becher noch nicht mal zur Hälfte aufgegessen hatte. „Jessie, warum gehen wir beide nicht nach draußen und warten dort auf deinen Vater?“
Mike wollte widersprechen, aber sie schüttelte nur leicht den Kopf.
„Komm, Jessie. Ich glaube, ich habe nebenan eine nette Buchhandlung gesehen. Sollen wir uns dort mal umgucken?“
Jessie schluchzte leise und wischte sich mit der Faust die Tränen aus den Augen. Offensichtlich hatte sie sich noch nicht entschieden, ob sie die Szene weiterführen oder den Vorschlag mit der Buchhandlung annehmen sollte. Schließlich jedoch erhob sie sich vom Stuhl und ergriff Melanies Hand. „Bekomme ich ein Buch über Krebse?“, fragte sie erwartungsvoll.
„Wenn wir eins finden.“
Jessie strahlte. „Da gibt es sogar ganz viele. Ich habe zwei, aber ich weiß, dass es noch mehr gibt.“
„Die werden wir uns mal anschauen“, versprach Melanie.
Mike blickte ihnen nach, als sie den Raum verließen, und war sich nicht sicher, ob er seufzen oder lachen sollte. Er konnte Melanie nicht erlauben, seine Tochter zu bestechen, wenn sie mal wieder ihre zickigen Wutanfälle bekam. Aber er musste zugeben, dass diese Methode ausgesprochen wirkungsvoll war.
Vielleicht war es aber auch gar nicht das versprochene Buch gewesen, das Jessie beruhigt hatte. Melanie war einfach klug gewesen und hatte seine Tochter abgelenkt. Vielleicht sollte er sich ein Beispiel daran nehmen. Er konnte noch etwas lernen.
Wie war es möglich, dass eine alleinstehende Frau in so kurzer Zeit begriffen hatte, wie man mit Jessie umgehen musste, während er sich seit Jahren vergeblich abmühte, mit den Ausbrüchen seiner Tochter umzugehen?
Wahrscheinlich, weil für Melanie noch alles neu ist, entschied er im Stillen, während er weiter sein Eis löffelte. Sie hatte noch endlose Geduld und gute Nerven, weil sie nicht jeden Tag mit Jessies Launen umgehen musste. Er hingegen war mit den Nerven und auch mit seiner Geduld bisweilen am Ende. Vielleicht sollten er und seine Tochter öfters mal eine Pause voneinander einlegen. Andererseits hatte er Schuldgefühle, sie mit Babysittern allein zu lassen, weil sie bereits ohne Mutter aufwachsen musste. Aber war sein Verhalten vielleicht falsch gewesen? Wäre es besser für sie gewesen, wenn sie auch andere Bezugspersonen gehabt hätte?
Was immer es auch sein mochte, weshalb Melanie diese endlose Geduld hatte, er war ihr sehr dankbar dafür. Zu schade, dass sie nicht hier blieb. Der Sommer mit den langen Ferien stand vor der Tür, und er brauchte dringend jemanden, der sich während seiner Arbeitszeit um Jessie kümmerte. Wenn Melanie bereit wäre, diesen Job zu übernehmen, würde er sie sofort einstellen. Jessie wurde mittlerweile in keiner Kindertagesstätte der Umgebung gern gesehen, und sie mit zur Arbeit zu nehmen, das hatte sich als äußerst anstrengend für beide herausgestellt.
Die Versuchung, Melanie dieses Angebot zu unterbreiten, war geradezu unwiderstehlich groß. Lediglich die Erkenntnis, dass es dabei nicht allein um Jessie ging, hielt ihn zurück. So wohl gefühlt wie an diesem Tag hatte er sich schon lange nicht mehr. Melanies Gegenwart schien nicht nur bei seiner Tochter etwas zu bewirken.
Er hatte einen Geschmack davon bekommen, wie es wäre, eine richtige Familie zu haben, und er musste zugeben, dass es ihm gefiel. War es möglich, dass er die ganzen Jahre nur darauf gewartet hatte, eine Frau wie Melanie kennenzulernen? Jemand, der sie beide so annahm, wie sie waren.
Nein, sagte er sich entschieden. Natürlich nicht!
Doch als er diese Worte in Gedanken aussprach, wusste er, dass er sich selbst etwas vormachte. Irgendetwas hatte sich an diesem Tag verändert. Wenn er an Melanie dachte, fiel ihm nicht mehr nur der Garten von Rose Cottage ein, sondern er spürte vor allem, dass sie in der Lage wäre, sein und Jessies verletztes Herz zu heilen.
Jessie war ein ziemlich schwieriges kleines Mädchen. Das hatte Melanie schon erkannt, bevor Mike es auch nur angedeutet hatte. Wutausbrüche am Ende eines langen Tages waren gar nicht so
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