Die Schwestern von Rose Cottage: Melanie (German Edition)
ungewöhnlich für Kinder in diesem Alter, aber Melanie waren bereits vorher einige Dinge aufgefallen. Vor allem die Art, wie vorsichtig Mike mit seiner Tochter umging. Es war klar, dass er fast alles tun würde, um einen ihrer Anfälle zu vermeiden. Da Jessie ein intelligentes Kind war, hatte sie das sofort begriffen und spielte nun seine Angst und seine Schuldgefühle, die er als alleinerziehender Vater besaß, erbarmungslos aus.
Trotz aller Probleme fühlte Melanie sich jedoch zu dem sechsjährigen Mädchen hingezogen. Sie hatte noch nicht sehr viel Kontakt zu Kindern gehabt, aber Jessies Fantasie und ihre spontane, offene Art faszinierten sie. Außerdem tat es ihrem Selbstwertgefühl gut, dass das Mädchen sie so unverhüllt bewunderte.
Natürlich wusste Melanie, dass sie sich weder zu sehr an das Mädchen gewöhnen sollte, noch durfte sie zulassen, dass Jessie emotional von ihr abhängig wurde. Einen Ausflug wie heute würde sie auf keinen Fall wiederholen.
Trotzdem genoss sie es, dass die Kleine sich in der Kinderabteilung des Buchladens an sie schmiegte, während sie auf dem Boden saßen und einige Bücher durchblätterten.
„Mir gefällt das hier am besten“, meinte Jessie, nachdem sie sich ein Dutzend Bücher angeschaut hatten. „Willst du es mir wirklich kaufen?“
„Natürlich“, erwiderte Melanie. „Ich schenke es dir.“
Jessie sah sie fragend an. Etwas schien sie plötzlich zu bedrücken. „Du und mein Dad, ihr seid Freunde, nicht wahr?“
„Ja“, antwortete Melanie, obwohl sie nicht wusste, worauf das Kind hinauswollte.
„Dann ist ja alles in Ordnung“, antwortete Jessie erleichtert. „Von einer Fremden dürfte ich nämlich nichts annehmen.“
„Nein, das dürftest du tatsächlich nicht“, stimmte Melanie ihr zu. „Aber falls es dich beruhigt, kann ich deinen Vater ja noch fragen.“
Jessie schaute sehnsüchtig auf das Buch. „Und wenn er Nein sagt?“
„Überlass das nur mir“, erwiderte Melanie mit einer Zuversicht, die eigentlich fehl am Platze war. Sie hatte an diesem Tag vieles als Selbstverständlichkeit genommen. Schon allein, dass sie das Kind in die Buchhandlung gelockt hatte, um einen erneuten Wutanfall zu vermeiden, hätten so manche Eltern nicht toleriert. Mike hingegen hatte nach anfänglichem Zögern sogar erleichtert ausgesehen. Sie hatte das Gefühl, dass er sich Jessie gegenüber in letzter Zeit oft ohnmächtig gefühlt haben musste.
Plötzlich sprang Jessie auf. „Daddy, schau nur, was für ein Geschenk Melanie mir machen will!“
Melanie sah in Mikes Augen und entdeckte darin einen Ausdruck, der nichts Gutes verhieß. Wahrscheinlich hatte sie ihre Befugnisse jetzt tatsächlich überschritten. „Sie hat mir die ganze erste Seite allein vorlesen können. Ich dachte, da hätte sie es verdient“, entschuldigte sie sich.
„Du hast die ganze erste Seite allein gelesen?“, fragte er erstaunt und nahm Platz.
Jessie nickte stolz. „Alles.“ Eifrig setzte sie sich und griff zu dem Buch. „Chadwick“, begann sie und schaute dann ihren Vater an. „Erinnerst du dich noch an Chadwick, Daddy? Das ist ein Krebs.“
Mike lächelte stolz. „Ich erinnere mich.“
Jessie las langsam, aber korrekt den ersten Satz und suchte dann wieder den Blick ihres Vaters. „Ist das so richtig?“
Sein Lächeln wurde breiter. „Du liest perfekt. Du hast das Buch wirklich verdient, aber ich werde es bezahlen.“ Er holte Geld aus der Tasche und reichte es ihr. „Lauf zur Kasse, und bezahle es.“
„Danke!“, erwiderte Jessie glücklich und rannte los.
„Ich hätte es ihr auch gekauft“, meinte Melanie. „Ich habe sie schließlich erst auf die Idee gebracht.“
„Ich weiß, aber so herum ist es besser.“
„Warum?“
„Weil ich erst gar nicht anfangen will, mich auf Sie zu verlassen.“
„Es geht hier nur um ein Buch, Mike, nicht um eine Beziehung.“
Mike schaute sie ernst an. „So ist es. Und deshalb machen Sie Jessie bitte keine weiteren Versprechungen mehr. Nicht, wenn Sie Rose Cottage schon bald wieder verlassen.“
Plötzlich begriff sie, worauf er hinauswollte. „Ihre Exfrau hat Jessie im Stich gelassen, nicht wahr? Sie vergleichen mich mit ihrer Mutter.“
Sein Gesichtsausdruck wurde noch finsterer. „Sie sind nicht wie Linda“, entgegnete er bitter. „Aber auch Sie werden gehen. Das haben Sie selbst gesagt. Und ich muss mein Kind vor dieser Art Enttäuschungen schützen. Sie hat schon genug durchgemacht.“
Er erhob sich und ging, bevor
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