Die Schwesternschaft des Schwertes - 8
Schweigen.
Janisse hätte am liebsten mit ihrem Geist hinausgegriffen und ihren Bruder mit dem herzlichen Schutzschleier einer Empathin eingehüllt, doch irgendetwas an seinem kalten und groben Wesen hielt sie davon ab. Sie spürte am Rande die finstere Wolke seiner Verärgerung und erfasste blitzhaft seine Gefühle: rasender Wind, einen eigenartigen Schmerz in seinem kranken Bein und die Gewitterwolke aus Schmerz und Wahnsinn, die seine Präsenz ausmachte. Hinter der Finsternis, dies wusste sie, lag die undurchdringliche Barriere der Einsamkeit.
Vor ihnen brach Danila erneut in Gesang aus. Ihre klare und melodiöse Stimme ritt auf dem Wind. Sie wies eine eigenartige neutrale Eigenschaft auf, die so natürlich war wie ein Paradox.
Einerseits war sie erfüllt von Lebensfreude, andererseits schwang etwas Gespenstisches darin mit. In diesem Augenblick gab es für Janisse freilich nichts, das beruhigender gewesen wäre. Irgendwo weit vor ihnen spürte sie Erlends Präsenz, merkte, dass er bei dem Klang zusammenzuckte, doch diesmal war sie gemeinerweise glücklich darüber.
Soll er zuhören … Er brütet, wendet sich vom Leben ab. Ich kann nichts mehr für ihn tun. Deswegen … soll er zuhören!
Und dann, aus irgendeinem verrückten Gefühl heraus, trieb sie ihre Stute an und näherte sich ihrer allein reitenden Führerin, die eins der drei Packpferde an einer Leine hielt.
»Was singt Ihr da, Mestra?«, fragte Janisse, als sie Danila erreichte und im gleichen Tempo neben ihr herritt. »Darf ich Euch übrigens beim Vornamen ansprechen?«
Die Frau richtete den Blick weiterhin auf die Straße, lächelte kurz und zuckte einfach die Achseln. »Wie es Euch beliebt, Damisela.«
Die beiden ritten eine Weile schweigend nebeneinander her. Das sie umgebende Land wurde allmählich stärker bewaldet und zerklüfteter.
»Wart Ihr schon mal hier?«, fragte Danila plötzlich. Ihre Hand umfasste die Landschaft mit einer weit ausholenden Bewegung.
»Dies ist das Kilghard-Gebirge. Eigentlich sind wir noch im Vorgebirge. Es wird gleich steiler werden.«
»Es ist schön. Nein, ich war noch nie hier.«
Janisse hörte, dass Bethan sich mit Arlin unterhielt, der das zweite Packpferd führte. Noch ein Stück weiter zurück bildete die schweigende Ysabet mit dem dritten Packpferd die Nachhut. Die rote Sonne stand hoch über ihnen und blitzte durch die Wipfel der riesigen immergrünen Bäume, die den Weg säumten. Die Straße wurde nun schrittweise schmaler und ähnelte einem Pfad.
»In Wirklichkeit liebt Ihr diesen Dom Lerrys, nicht wahr?« Die plötzliche Aussage und ihre Verwegenheit trafen Janisse gänzlich unvorbereitet. Sie errötete, wollte eine schroffe Antwort geben, doch im Gesicht der älteren Frau war weder ein Lächeln noch Spott zu sehen. Ihre scharfen, albinoähnlichen Augen musterten Janisse mit Sympathie. Dann fügte sie hinzu: »Es geht mich vielleicht nichts an, Damisela,
aber
mir
ist
aufgefallen,
welchen
Stimmungsschwankungen Ihr in den letzten Tagen seit dem Aufbruch unterworfen seid. Erst wenn Ihr von Lerrys sprecht, glänzen Eure Augen.«
Aus irgendeinem Grund wollte Janisse nicht länger lügen. Sie ritt mit gesenktem Kopf neben Danila her. »Ich musste den Turm von Neskaya verlassen«, sagte sie. »Seinetwegen. Eigentlich meinetwegen - und wegen dem, was meine Gefühle dort angerichtet haben. Der Kreis war nicht mehr ausgeglichen. Meine Gefühle waren daran schuld. Bei Zandrus Höllen, warum erzähle ich Euch das überhaupt?«
Auch diesmal zuckte Danila die Achseln. Sie schien nicht beleidigt zu sein. »Tja, warum erzählt Ihr es mir? Ich weiß, warum. Ihr müsst es jemandem erzählen, Damisela, nicht wahr? Ich weiß es.«
Janisse konnte nur geradeaus starren.
Sie hat Laran. Sie muss mit den Comyn verwandt sein.
Im gleichen Moment bemerkte die junge Frau, wie sich in Danilas blassen Augen etwas Gefährliches regte - eine Erinnerung, die nicht an die Oberfläche kommen durfte. Entweder hatte sie ihre Gedanken gelesen, oder es lag am hellroten Sonnenlicht, das ihr in die Augen schien, denn Danilas rechtes Lid zuckte, und sie drehte sich um.
»Seit ich den Namen meiner Mutter als den meinen angenommen habe, ist all das für mich nicht mehr wichtig«, sagte Danila zurückhaltend. Nach einer Weile erhellte sich ihre Miene und sie schaute Janisse an. »Welche Rolle spielt heute die Vergangenheit?«
»Für meinen Bruder ist sie sein Leben … Die Vergangenheit plagt ihn mit Finsternis«, erwiderte
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