Die Schwesternschaft
fuhr auf den Kiefernwald zu, der die Küste säumte und die ersten Gebirgsausläufer markierte. Auf den ersten Blick gab es keine StraÃen.
»Guten Abend, Boris«, begrüÃte ihn Gavril.
»Guten Abend, Genosse Präsident.«
»Neuigkeiten?«
»Keine.«
»Bald ist Weihnachten, dann wirst du dir ein paar freie Tage gönnen.«
Boris schien gar nicht zuzuhören: »Bleibt alles bei Samstag?«
»Ja, es bleibt dabei. Pünktlich um neun.«
»Gut. Morgen werden wir das Material vorbereiten.«
Lena verstand nicht, was das Gespräch zu bedeuten hatte, aber sie stellte keine Fragen.
Als sie etwa fünfzig Meter von dem Kiefernwald entfernt waren, drückte der Fahrer einen kleinen Hebel am Armaturenbrett: Eine bewegliche Brücke, die unter einer Sandschicht getarnt gewesen war, erhob sich vor ihren Augen. Der Jeep fuhr zielsicher auf die nun freigelegte, abschüssige Rampe. Sie führte in einen breiten, unterirdischen Gang, der von schwachem Neonlicht erhellt wurde. Hinter ihnen schloss sich die Rampe wieder. Ãberall nur Beton. Das Ganze sah aus wie ein unterirdischer Parkplatz, nur dass es keine Autos gab.
Nach etwa zweihundert Metern wurde der Gang erheblich breiter. An der niedrigen Decke verliefen riesige graue Rohre, offenbar gab es nirgendwo einen Ausgang. Auf der linken Seite war ein Wachhäuschen aus kugelsicherem Glas mit einer Stahltür zu erkennen, in dem zwei bewaffnete Wachleute saÃen, die sofort aufsprangen, als der Jeep hielt.
Boris stieg mit energischer Geste aus, öffnete die hintere Wagentür, wartete, bis die beiden ausgestiegen waren, und gab ihnen ein Zeichen, ihm zu folgen.
Gavril sah sich gedankenverloren und sichtlich zerstreut um. Lena dagegen war neugierig und unruhig.
Als sie das Wachhäuschen passierten, salutierten die beiden Männer, und Boris erwiderte den Gruà mit einer flüchtigen Geste.
Gleich dahinter begann ein langer, schmaler, niedriger Gang: ein richtiger Tunnel, den man ins Innere der Erde gegraben hatte. Die verwitterten Schriftzeichen an den Wänden lieÃen erkennen, dass er schon älter sein musste und vermutlich früher militärischen Zwecken gedient hatte.
Der Gang endete an einer Mauer mit einer in Mannshöhe angebrachten Zahlentastatur. Gavril gab den Code ein, und gleich darauf öffnete sich leise eine Panzertür.
Boris trat mit einer leichten Verbeugung beiseite. »Madame, Genosse Präsident, machen Sie es sich bequem. Viel SpaÃ.« Dann kehrte er eilig um und lieà die beiden allein.
Gavril und Lena befanden sich in einem groÃen Raum mit kreisförmigem Grundriss und über fünfzehn Meter hohen Wänden. Er wirkte wie ein riesiger Tankbehälter. Oder wie ein Barocktheater.
Der Eindruck eines Theaters wurde dadurch unterstrichen, dass sich über die gesamte rundum verlaufende Wand drei übereinanderliegende Reihen vergitterter Fenster erstreckten: wie Logen, aber für Gefangene. Sie waren rings um den groÃen, von der Decke bis zum Boden reichenden Vorhang aus schwarzem Tuch angeordnet, der das Ende des Saals verdeckte.
Allerdings gab es im Zuschauerraum keine Sesselreihen: nur den nackten Boden, der mit strahlenförmig angeordneten Metallplatten ausgelegt und von schmalen, mit Gitterrosten verdeckten Abflusskanälen durchzogen war.
Lena bemerkte, dass der Boden leicht gewölbt war und von den Seiten bis zur Mitte des Saals gleichförmig anstieg, als würde er auf einer Kuppel aufliegen. Gavril nahm ihre Hand und stieg mit ihr hinauf bis zur Saalmitte, wo sich das einzige Möbelstück befand: eine geschwungene, schicke Designer-Chaiselongue, die mit rotem Samt bezogen war.
Sie setzten sich. Kaum hatten die Sensoren ihr Gewicht registriert, neigte sich automatisch die Rückenlehne, um die Sicht auf den Vorhang zu optimieren, und auch das FuÃteil verstellte sich so, dass die Beine möglichst bequem lagen. Plötzlich kamen, wie durch Zauberei, zwei Armlehnen mit Getränkehaltern zum Vorschein, während auf Gavrils Seite ein kleiner, von einem 22-Zoll-Kristallbildschirm gekrönter Turm aus dem Boden aufstieg. Auf dem Bildschirm blinkte ein einziges Ikon: START VISION .
»Gavril, wo sind wir hier?«, fragte Lena verwundert. »Wozu diese Zellen? Und die Kanäle im Boden?«
»Diesen unterirdischen Bau hat Chruschtschow während seiner ersten Jahre im Kreml errichten lassen und ihn dann dem KGB
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