Die Schwesternschaft
in Erwartung ist und noch nichts enthüllt. Aber er hält nicht lange an ⦠oder?«
»Wechseln wir die Epoche?«, schlug er vor.
»Aber wie funktioniert das alles?«
»Die Bühnenprospekte befinden sich in einem Magazin hinter der Leinwand. Sie werden in einzelnen Schaukästen bei bestimmter Temperatur und Luftfeuchtigkeit aufbewahrt. Was wir sehen, sind nicht die echten Bühnenbilder, sondern hochauflösende Projektionen. Ich kann auch einzelne Details heranzoomen.«
»Wunderbar â¦Â«
»Jetzt kannst du ein bisschen rumspielen«, forderte Gavril sie auf und reichte ihr die Konsole.
Lena nahm das Display und lieà die Datei vor- und zurücklaufen, indem sie den Scrollbalken mit dem Zeigefinger verschob: »So?«
»Genau so. Und wenn du etwas gefunden hast, das dir gefällt, gehst du auf PLAY.«
Lena überflog mehrere Seiten, bis etwas ihre Neugierde weckte. Auf dem Bildschirm waren folgende Angaben zu lesen:
Werk: Der Kirschgarten von Anton Pawlowitsch Tschechow
Entstehungsjahr: 1942
Regisseur: Fedor Ossendowski
Bühnenbild: Olga Twardowski
Aufführungsort: Kleines Tschechow-Theater, Leningrad (Sankt Petersburg)
»Es ist nicht sehr alt«, bemerkte Gavril. »Und nicht viel wert«, fuhr er fort. »Nur schwarz-weià und übertrieben stark Klimt nachempfunden. Es gehört übrigens zu dem Paket, das ich für drei Millionen Euro verkauft habe ⦠Diese Sammlung ist wie gesagt ein Geschäft. Aber es hat sich gelohnt, sie dir zu zeigen, bevor sie auseinandergerissen wird.«
»Und nun lass uns das Bild einmal ansehen«, stimmte Lena ihm zu, wobei sie entschlossen die virtuelle Taste drückte.
Während der Bühnenprospekt ohne jegliche musikalische Untermalung auf der Leinwand erschien, legte sie ihre Hand zurück auf Gavrils SchoÃ. Er ergriff sie und stellte erstaunt fest, dass ihre Finger leicht zitterten.
»Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«, fragte er.
»Nein, nein.« Eilig zog sie die Hand zurück. Zu eilig, Gavril hatte es bemerkt.
Als der groÃe Baum verschwunden war, platzte sie mit einer Frage heraus: »An wen hast du es verkauft?«
Gavril hielt sich bedeckt: »Ein italienischer Antiquitätenhändler ⦠ich kenne ihn allerdings nicht persönlich. Es gibt einen Mittelsmann.«
»Hat deine Frau das Bild gesehen?«
Gavril wurde ungeduldig. Es galt die Vereinbarung, nie über Catherine zu sprechen, wenn sie zusammen waren. »Natürlich hat sie es gesehen. Vor ein paar Tagen.«
Lena sprang unvermittelt auf. »All die schönen Dinge haben mich hungrig gemacht«, sagte sie. »Gibt es hier irgendwo ein Restaurant, oder müssen wir mit der Gulag-Kantine vorliebnehmen?«
Er lächelte: »Auch diesbezüglich habe ich für eine leichte â übrigens französische â Verbesserung gesorgt.«
6
Anabah, Panshir Medical Centre
Donnerstag, 23. Dezember, 14.54 Uhr
Seine Schicht war zu Ende, und er konnte sich endlich ein wenig ausruhen. Flavio Giordano trat aus dem Hauptgebäude, in dem sich die Operationssäle, die Ambulanz sowie die siebzig Betten der vier verschiedenen Stationen befanden, und steuerte auf eine Gruppe niedriger massiver Steinhäuser zu, in denen die Kantine untergebracht war. Er hob den Blick und schaute hinauf in den tiefblauen Himmel. Hinter dem Krankenhaus ragten majestätisch die schneebedeckten Gipfel des Hindukusch auf. Sie schienen zum Greifen nahe. Flavio atmete tief durch. Die Luft war so frisch und rein, als habe sie nie zuvor jemand geatmet. Neben dem Rasen, in etwa zwanzig Metern Entfernung, saÃen die beinahe volljährigen Cousins Ahmad und Ajmal in der warmen Sonne und rauchten. Beide waren wegen Kopfverletzungen durch Bombensplitter in Behandlung.
»Smoking kills« , rief er ihnen von Weitem zu.
Ajmal lächelte. »Man kills«, erwiderte er und deutete auf seinen Kopfverband.
Flavio lächelte ebenfalls und streckte ihm, zum Zeichen der Zustimmung, den erhobenen Daumen entgegen. Er umrundete den Platz und erreichte schlieÃlich die Kantine. Um diese Uhrzeit war alles verlassen. Er trat auf den Fernseher zu, der an der Wand hing, schaltete ihn an und stellte Al-Jazeera International ein, dann nahm er an einem der Tische Platz und schaute zerstreut die Nachrichten, bis schlieÃlich eine seine Aufmerksamkeit erregte.
»Afghanistan â¦Â«, las der Sprecher, ein Mann mit
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