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Die Schwesternschaft

Die Schwesternschaft

Titel: Die Schwesternschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger R. Talbot
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zur Verfügung gestellt.«
    Â»Ein Gulag?«, fragte sie.
    Â»In dieser … Abteilung … wurden die Verräter der Sowjetunion umerzogen: die besonders verstockten und wenig gesprächsbereiten … die Jungs aus der Moskauer NikolskayaStraße nannten sie ›unsere Akademie der Überredung‹ …«
    Â»Folter, mit anderen Worten …«
    Â»Spezialbehandlungen.«
    Â»Und die Zellen ringsum?«
    Â»Man hielt es für zweckmäßig, alle Besucher an den Sitzungen teilhaben zu lassen«, erklärte Gavril. »Das half, ihren Starrsinn zu brechen, während sie darauf warteten, an die Reihe zu kommen.«
    Â»Jetzt verstehe ich, wofür die Kanäle dienten …«
    Â»Eine Frage der Hygiene.«
    Â»Welch schönes Plätzchen …«, scherzte Lena. »Nächstes Mal wähle ich das Kino aus.«
    Er lächelte.
    Â»â€¦ Ich wüsste gerne, weshalb mir dieser Ort gefallen sollte.«
    Â»Hier befindet sich die weltweit größte Sammlung von Theaterbühnenprospekten.«
    Â»Bühnenprospekte? Hast du das alles für ein paar Theaterbühnenbilder errichtet?«
    Â»Ich habe gar nichts errichtet«, erwiderte Gavril ruhig. »Das ist alles Teil des Pakets: die Bojen, die Raketen und der ganze Rest. Sechshundertvierundsiebzig Bühnenbilder aus allen Epochen und allen Teilen der Welt. Die wertvollste Sammlung, die es gibt. Jetzt gehört sie mir.«
    Â»Und der vorherige Besitzer?«
    Â»Ist nicht mehr da.«
    Gavril begann an dem Touchscreen zu hantieren. Die LED der Bluetooth-Verbindung blinkte auf. Lena sah eine endlos lange Liste über den Bildschirm laufen: in jeder Zeile das Jahr, die Stadt, das Theater, das Werk, der Autor, der Regisseur, der Bühnenbildner und ganz rechts, als letztes sichtbares Feld, eine Taste: PLAY .
    Â»Und was willst du mit dem Zeug machen?«
    Â»Geschäfte natürlich«, antwortete er. »Fangen wir mit dem 16. Jahrhundert an: die großartige italienische Renaissance, die Wiege des modernen abendländischen Theaters …« Er markierte eine Zeile und berührte mit dem Zeigefinger die Play-Taste.
    Im selben Augenblick gingen sämtliche Lichter im Saal aus, alles war in Dunkelheit getaucht. Lena suchte nach seiner Hand. Man hörte ein leises Summen.
    Nach einer Weile, die ihr wie eine Ewigkeit vorkam, vernahm Lena eine zarte Melodie, die allmählich lauter wurde. Sie erkannte Flöten und Lauten und die unverwechselbaren Dissonanzen jener festlichen Musik, die an den großen italienischen Höfen gespielt wurde, bevor Bach die Tonleiter temperierte. Als der Klang sich voll entfaltet hatte, begannen warme, gedämpfte Lichter aufzusteigen, die von Scheinwerfern mit entsprechenden Farbfiltern stammten und die allmählich die gesamte Frontwand beleuchteten, um das Meisterwerk zur Geltung zu bringen.
    Die Wirkung war fantastisch. Man hatte tatsächlich das Gefühl, in einem Theater zu Beginn des ersten Aktes zu sitzen. Eine Tonbandstimme begann mit den Erläuterungen: »Aus der Hand von Baldassare Peruzzi, der seine Ausbildung in der Werkstatt Raffaels erhielt. Zum Dank an seine Mäzene ließ sich der Künstler durch eine Stadtansicht des damaligen Urbino inspirieren. Das Werk fand im ersten Akt der von Bernardo Dovizi da Bibbiena verfassten Komödie La Calandria Verwendung, die am 21. Februar 1520, zu Ehren der Markgräfin Isabella d’Este Gonzaga, in Mantua aufgeführt wurde.«
    Â»Ist das nicht beeindruckend?«, fragte Gavril. Seine Begeisterung war aufrichtig. Genau deshalb hatte Lena ihn erwählt: ein perfekter Mix aus Gewalt und Klasse, aus Skrupellosigkeit und Sensibilität. Ein Mann, der in übelste Verhältnisse hineingeboren wurde, aber als Heranwachsender eine unbändige Leidenschaft und einen ausgeprägten Sinn für das Schöne entwickelt hatte.
    Sie ließ den Blick über die Details des großen Gemäldes schweifen, verlor sich in den perspektivischen Fluchten und den anmutigen Spitzbogenarkaden. Nach einigen Sekunden wurden die Melodie und das Licht allmählich schwächer, bis es schließlich erneut vollkommen dunkel und still war.
    Â»Großartig …«, murmelte Lena. »Der Zauber des Anfangs, dieser einzigartige Moment im Theater, wenn im Saal die Lichter langsam erlöschen, alles still wird und dann allmählich etwas in Erscheinung tritt … dieser magische Moment, in dem alles

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