Die Séance
dazu, ihr in die Augen zu blicken. Irgendwas stieg in ihm auf. Eine plötzliche Nervosität.
Ja, klar.
Er konnte sie nicht ansehen, ohne daran zu denken, wie es war, mit ihr zu schlafen.
Aber das war es nicht …
“Kein Problem. Ist es das, was du hören willst? Schön, kein Problem, und ich wünsche dir alles Glück der Welt, aber so viel kann ich gar nicht tun. Verdammt, mein eigener Bruder sitzt auf glühenden Kohlen, um endlich die Rolle zu kriegen, die er unbedingt haben will. Ich hab kaum Kontrolle über so etwas.”
“Mehr, als du glaubst. Noch mal vielen Dank, Mike.”
Er nickte. “Sicher. Wie ich sagte, alles Gute für dich.”
Sie lächelte. “Eines Tages wirst du mir vielleicht verzeihen können.”
“Dir verzeihen?”, sagte er, als würde er nicht verstehen. “Die meiste Zeit erinnere ich mich überhaupt nicht mehr an dich”, log er.
Er konnte sehen, wie sie erstarrte. “Klar. Danke. Bis dann.”
Sie drehte sich um und ging, und er saß da und lauschte dem Geräusch der zufallenden Tür. Dann erhob er sich – und folgte ihr.
Die Macht der Vorstellungskraft ist wirklich eine komische Angelegenheit, dachte Christina, nachdem Dan zu seiner Spätvorstellung im Park aufgebrochen war.
Sie hatte nie zu den Leuten gehört, die regelmäßig auf den Friedhof gehen. Sie glaubte nicht daran, dass ein Grab aufzusuchen so etwas wäre wie ein Besuch bei der Seele eines geliebten Menschen. Sich an sie zu erinnern, das war die größte Ehre, die sie denen erweisen konnte, die dahingegangen waren; von ihnen zu erzählen, selbst über ihre Macken zu lachen, sie so doch ein wenig am Leben zu erhalten. Sie ging auf den Friedhof, wenn sie sich danach fühlte, nicht, weil es ein bestimmter Tag war.
Aber Jeds Besuch war ihr unter die Haut gefahren.
Sie und Killer würden schon zurechtkommen, beschloss sie. Der kleine Jack-Russell-Terrier war ein bisschen hyperaktiv, aber das war ja nur gut. Er würde die kleinste Ungereimtheit bemerken – und sofort laut bellen. Dass er schon zwei Jahre alt war, war auch gut. Die Frau in dem Tierheim hatte ihr versichert, dass er nicht mehr auf Schuhen herumkaute oder auf sonst etwas, das er zwischen die Lefzen bekam. Aber das Beste an Killer war: Er war so anhänglich, so begierig, ihr Freude zu bereiten. Er hatte nichts dagegen, als sie ihm die Leine anlegte, um mit ihm spazieren zu gehen. Sie hatte schon Hunde auf dem Friedhof gesehen, daher nahm sie an, das wäre schon okay, solange niemand sich darüber aufregte.
“Hey!”, rief jemand, als sie aus dem Haus kamen. Tony und Ilona standen vor Tonys großzügig geplantem Haus im Ranch-Stil und warfen sich eine Frisbee-Scheibe zu. Ilona, die gerufen hatte, winkte ihr zu und ließ die Frisbee-Scheibe unbewusst in die falsche Richtung segeln. Dem Fangreflex folgend, ließ Christina die Leine los, und Killer verstand das als eine Aufforderung.
Zu ihrer Verblüffung flog der Terrier geradezu über die Veranda und den Rasen, machte dann einen eigentlich unmöglichen Satz hoch in die Luft – und schnappte sich die Frisbee-Scheibe.
“Wow!”, rief Ilona und kam herübergelaufen.
“Hast du das gesehen?”, rief Tony und heftete sich auf ihre Fersen. Er grinste Christina an, als sie vor ihr zum Stehen kamen und umarmte seine Verlobte. “Großer Gott, wo hast du den denn her? Aus dem Hundezirkus? Das war ja der Wahnsinn. Ist das deiner?”
“Ist er, und ich bin genauso erstaunt wie ihr”, versicherte Christina ihnen.
“Hast du den aus dem Heim?”, fragte Ilona, blickte herab auf Killer, der mit dem Schwanz wedelte, die Frisbee im Maul.
“Ja, ich hab ihn gerade heute ausgesucht”, sagte Christina. “Er heißt Killer.”
Tony sah sie an. “Killer?”, wiederholte er höflich, aber seine Lippen zuckten.
“Hey, so hieß er schon, als ich ihn bekam”, sagte sie.
“Also, mit der Frisbee-Scheibe war er jedenfalls mördergut”, sagte Tony. “Mit dem könntest du Preise gewinnen. Es gibt da welche, die bringen ganz gutes Geld.”
“Er ist bloß ein Haustier. Er muss kein Geld reinbringen”, sagte Christina.
“Jedenfalls spielt er offenbar gerne. Du solltest ihn mal bei uns mitmachen lassen. Du selbst kannst natürlich auch gerne mitspielen”, sagte Ilona grinsend.
“So gut wie er bin ich leider nicht”, gab Christina zu.
“Du bekommst eine Punktevorgabe, wegen der alten Zeiten”, versicherte ihr Tony.
Sie lachte. “Okay, schauen wir mal. Bis dahin … Killer, gib die Frisbee-Scheibe wieder her.
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