Die Séance
Wir müssen jetzt gehen.”
Zu ihrer Überraschung gehorchte der Hund sofort.
Er ging zu Tony und jaulte, bis Tony in die Hocke ging und ihm die Frisbee-Scheibe abnahm. “Danke, Kumpel.”
“Viel Spaß noch”, sagte sie und führte den Hund zu ihrem Wagen.
“Dir auch”, rief Ilona ihr nach.
“Und, ähm … immer vorsichtig da draußen, hm?”, fügte Tony hinzu.
“Ich passe auf”, versicherte sie ihm. Langsam ging es ihr wirklich auf die Nerven, dass alle Welt sich Sorgen um sie machte, egal wie gut sie alle es meinten.
Sie fuhr zum Friedhof. Killer saß auf dem Beifahrersitz, blickte direkt nach vorn, benahm sich ganz ausgezeichnet, so wie er sich auch schon verhalten hatte, als sie zum ersten Mal mit ihm nach Hause gefahren war. Er blieb still sitzen und gab nur ein kurzes Bellen von sich, als sie bei einem der Läden neben dem Eingang hielt, um zwei große Blumensträuße zu kaufen.
Sie parkte draußen vor dem Tor, denn einige der Straßen durch den Friedhof waren so schmal und gewunden, dass man dort von anderen Wagen blockiert werden konnte.
Sie sah sich um. Alles war ruhig. Von großen Eichen hing Spanisches Moos herab. Geschnitzte Engel und Putten schmückten viele der Grabsteine. Der Friedhof war eigentlich sehr schön, bemerkte sie plötzlich. Friedvoll und malerisch.
Leider kannte sie den Weg zum Grab ihrer eigenen Familie nur zu gut. Ihr Granpa hatte das kleine Mausoleum, umgeben von einem schmiedeeisernen Zaun, bereits errichtet, als sie nach Amerika gekommen waren. Es bot einen beeindruckenden Anblick, mit einem großen steinernen Engel über dem verzierten Bauwerk, auf dem die Namen McDuff und Hardy standen.
Zurzeit lagen vier Sarkophage in dem Mausoleum. Jeder, der jetzt noch darin begraben werden wollte, müsste seinen Sarg auf die anderen stapeln lassen. Sie wusste, dass sie auch direkt hineingehen konnte, aber sie legte den einen Blumenstrauß draußen ab, wo ihre Eltern begraben waren. Mit dem Tod ihrer Großeltern hatte sie ihren Frieden gemacht, aber sie glaubte nicht, dass sie bei ihren Eltern jemals genauso empfinden könnte. Denen waren so viele Lebensjahre geraubt worden, und sie hatten so viel Besseres verdient gehabt.
Killer schien die feierliche Atmosphäre dieses Ortes zu spüren und saß still zu ihren Füßen, während sie leise ein Gebet sprach. Sie betrachtete die eingravierten Daten in den Grabsteinen ihrer Eltern, berührte sie sanft, wisperte bei beiden: “Ich liebe euch.”
Sie glaubte nicht, dass sie das hören könnten. Es war nur … eine höfliche Geste. Mehr für sich selbst als für sie.
Den zweiten Blumenstrauß hatte sie noch im Arm, aber sie war sich gar nicht so sicher, wo sie damit eigentlich hingehen wollte.
Sie drehte sich um und erstarrte, weil sie etwas spürte. Es war, als würde eine kühle Brise über sie hinwegwehen.
Natürlich war sie sicher. Sie wusste genau, wo sie hin wollte.
Es war nicht weit.
Plötzlich erinnerte sie sich an die Beerdigung ihres Großvaters, so klar, als wäre es erst gestern gewesen. Sie erinnerte sich, wie viele Leute anwesend waren, im Gegensatz zu dem einsamen Paar, das vor dem anderen Grab gestanden hatte, an dem die Frau herzergreifend weinte.
Sie wusste noch, wie sie, als das Paar gegangen war, zu dem anderen Grab ging und eine einzige Blume auf den Sarg legte.
Sie registrierte kaum, wie Killer hinter ihr herlief, während sie zwischen Gedenksteinen, Kreuzen und Engeln hindurch zu diesem anderen Grab ging.
Beauregard Kidd.
Geliebter Sohn und Bruder.
Und das Datum …
Er war am selben Tag gestorben wie ihr Großvater, und er war auch am selben Tag beerdigt worden.
Und niemand sonst war zu seiner Beerdigung gekommen, weil man ihn für einen Serienmörder hielt.
Die Brise wurde stärker.
Killer jaulte zu ihren Füßen.
Sie legte den zweiten Blumenstrauß ab. “Ich hoffe, dass Gerechtigkeit geschieht, Beau Kidd, und ich bete für deine Familie. Für deine Schwester.” Sie war katholisch aufgewachsen, also bekreuzigte sie sich und fügte hinzu: “Und ich bete für dich, Beau, und deine unsterbliche Seele.”
Plötzlich wurde die Brise eiskalt, und der Hund jaulte erneut.
Und mit einem Schlag wurde es dunkel.
Sie beugte sich vor, hob Killer auf den Arm und eilte aus dem Friedhof zu ihrem Auto. Während der ganzen Fahrt nach Hause schalt sie sich selbst eine Närrin. Aber als sie mit ihrem kleinen Hund wieder in ihren vier Wänden war, fühlte sie sich sofort besser. Mit allen Lichtern
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