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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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gleichen Hitze lebte wie sie, der sie in jeder Hinsicht ergänzte, wie soll ich sagen, einen starken Mann, der sie formte und aufrichtete, keinen Musiklehrer. Obwohl wir jetzt beide verheiratet waren, litten wir an einer Art zerebralen Untreue. Wir fühlten uns zu Männernhingezogen, die uns intelligenter als die eigenen zu sein schienen. Ich hatte im selben Jahr geheiratet wie sie. Nino war jetzt mein Mann, mit ihm führte ich eine tadellose Ehe. Hätte ich ihn nicht bis zur Selbstauflösung in meine Gewohnheiten mit einbezogen, ich glaube, er wäre in meinem Gedächtnis präsenter geblieben. Er war der Mann, der mich am meisten auf Händen getragen hat. Vielleicht waren wir frivol, vielleicht waren wir wie diese chemischen Substanzen, die sich mit mehreren Elementen verbinden. Sowohl sie als auch ich hatten unsere Tändeleien im Büro. Das schien uns nur natürlich, wir fanden eine Menge Gründe dafür. Aber sie hatte trotz alledem ein Gefühl von Schuld, das mir vollkommen fehlte. Mit Mihai glich mein Geist einem farblosen Glas, das sich mit Rotwein füllte. Ich zog einen ebenso großen Gewinn aus diesen Gesprächen, als läse ich Bücher, ich lernte. Unmöglich, dass Gott so ein geistiges Gastmahl nicht erlaubte. Wenn Nino mich lehrte, eine Frau zu sein, so hat Mihai eine Dame aus mir gemacht. Doch die größte Gemeinsamkeit von Terry und mir, ein Bereich, in dem wir dasselbe dachten, war etwas, was ich nie verloren habe, und auch heute noch sitzen wir im selben Boot, es war die unwiderstehliche Anziehungskraft, die Dissidenten auf uns ausübten. Die Verlockung, ihnen auf der Straße zu folgen, sich ihnen zu nähern und zu hören, was sie miteinander sprachen, war die Folge übertriebener Neugier, einer Bereitschaft zum Risiko. Wir hielten uns an Goma und Ţepeneag, ach, wenn sie uns doch nur ein einziges Mal bemerkten. Die Gefahr zog uns an wie eine verbotene Frucht. Gerade weil es in unserem verflachten und mittelmäßigen Leben keine Abenteuer gab. Wer uns in diesen Momenten sah,konnte uns tatsächlich für Spitzel halten. Ich habe wirklich ein paar Anspielungen gehört, Terry habe für einen Reisepass, mit dem sie nach Italien fahren wollte, einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Wahrscheinlich sagt man Ähnliches auch über mich. Diese Angewohnheit, uns gegenseitig zu verdächtigen, ist heute zu einer Art Katharsis kulminiert, die uns von der eigenen möglichen Schuld befreit. Beide hörten wir Europa Liberă, und dann tuschelten wir auf dem WC wie Schüler, die heimlich rauchten. Ich weiß nicht, woher dieses Gerücht stammte, Arpad Kövary sei Mitglied der Horthy-Armee gewesen und sein tragisches Ende verdanke sich seiner politischen Haltung als Jugendlicher. Ich glaube auch heute kein Wort von dem, was man damals im Verborgenen zischelte. Und letztendlich, da nun die Legionäre rehabilitiert sind, denke ich tatsächlich darüber nach, ob es ein Verbrechen war, horthystische Überzeugungen zu haben.
    Der grüne Blick kehrt zu ihren Augen zurück. Scheint verwundert, beunruhigt. Sie, die ihn in- und auswendig kennt, liest dort einen Vorwurf. Die Pupillen verengen sich und werden schneidend wie bei einer Katze, wenn das Licht heller wird. Was denkt er bloß über mich, und auf welcher Seite der Barrikade steht er. Dieser kühle, unnachgiebige Blick legt mich lahm. Ich bin wie ein Staubsauger, der plötzlich mitten im Zimmer verstummt. Was sucht dieser Mensch hier. Vielleicht ist er bei România Mare. Ist ein Freund von Vadim. Ich wende meinen Kopf ab. Der grüne Blick harrt eine Weile über meiner linken Schulter aus, dann versinkt er wieder in seine gewohnte Gleichgültigkeit, steigt auf der Mittelnaht des Oberkörpers abwärts. Knöpft mich zu. Wenn manbedenkt, dass wir uns geschworen haben, uns nie über den anderen zu ärgern. Wie übertrieben! Und wenn du erfährst, dass er bei der Securitate ist oder Kinderschänder oder kriminell? Glaubst du, dass du dann auch darüber hinwegsehen kannst, verzeihen kannst? Nur weil Iwan Karamasow dir in den Kopf gesetzt hat, dass auf dieser Welt alles erlaubt ist? Aber in unserer Freundschaft gibt es nichts zu verzeihen, sie ist eine Beziehung ohne Verpflichtungen. Gerade deshalb glaube ich, über alles hinwegsehen zu können, aus einer fast körperlichen Notwendigkeit heraus, ihn so anzunehmen, wie er ist. Ich will, dass wir uns einander ganz zeigen. Was für ein Idealismus, als hättest du nicht schon sechzig Jahre deines Lebens hinter dir.
    Ich habe den Eindruck,

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