Die Sechzigjaehrige und der junge Mann
verstehst du, für einen Künstler ist das eine wichtige Eigenschaft. Ich glaube, ich mochte es auch, anders als Terry zu sein, ich rächte mich, weil sie es nicht mehr nötig hatte, seit sie mit der UTC-Sekretärin befreundet war. Wenn ich richtig darüber nachdenke, habe auch ich sie verlassen, für Mihai, ich arbeitete mit ihm bei Kriterion im selben Büro. Meine Beziehung zu ihm glich sehr deiner jetzigen zu mir. Ich war damals fünfunddreißig, Mihai sechzig. Bei uns ist es umgekehrt. Unmögliche Beziehungen haben mich immer schon gereizt. Ich habe es schon immer gemocht, mit den Augen und mit Worten Liebe zu machen. Vielleicht liegt darin eine Art Perversität, eine Art Masochismus. Ich liebe den Mangel an Zielstrebigkeit. Ich mag es, den Anfang so lang wie möglich auszudehnen und nie über ihn hinauszukommen. Die Qual einer platonischen Beziehung bereitet mir Genuss. Mihai ging mit mir durch die Parks. Es gibt keinen Ort, der stärker mit Sinnlichkeit aufgeladen wäre als ein Park. Heutzutage suchen nur noch Schüler und Rentner seine verführerischen Winkel auf. Diese beiden Kategorien gefallen mir eigentlich am besten, sie haben nicht diese vulgäre Entschiedenheit des Geschlechtlichen, ihr Geschlechtist unentschlossen, verleiht ihnen die Aura höchster Empfindsamkeit. Siehst du, es hat schon ausgereicht, mich an Mihai zu erinnern, und schon fange ich an, in seinen Worten zu reden. Wir machten ausgedehnte Spaziergänge die Hauptchaussee entlang, durch verborgene Alleen, über uns die fallenden Blätter, und er zitierte aus Paul Valéry oder sprach über Trixy Checais und ihre Fünf-Uhr-Treffen vor der Lutheranerkirche. Wenn ich genau darüber nachdenke, könnte es sein, dass der Augenblick, in dem du sagtest, du verbrächtest deine Ferien im Park, diese Verwirrung in mir ausgelöst hat. Ich weiß nicht, wie es ihm geht, vielleicht stirbt er gerade bei Regen, in Paris. Wenige Männer werden älter als achtzig Jahre. Wir waren gleich alt. Wenn wir redeten, hatten unsere Worte dasselbe Alter, sie liebten sich. Mit dir geht es mir genauso. Vielleicht gleicht auch unsere Beziehung dem, was ich fühlte, als ich Daniel Bănulescu las oder Vivaldi auf der Orgel hörte, ich habe dir davon erzählt. Siehst du, dieses noch immer junge Gehirn lechzt nach Abenteuern, damals war es meine Zuneigung für einen fünfundzwanzig Jahre älteren Mann, mit der für einen fünfundzwanzig Jahre jüngeren schließt sich jetzt dieser Kreis meines Lebens als Frau. Während Anna über Mihai und ihre seltsame Beziehung sprach, vermied es der grüne Blick, sie anzuschauen. Er war bei der hölzernen Frau auf der Kommode stehen geblieben, sie war vor Jahren das Geschenk eines Hobbybildhauers gewesen, und Anna hatte sie Berenice genannt. Sie war zu sehr in ihren Erinnerungen gefangen, als dass sie sich verraten fühlte. Aber eine unerklärliche Traurigkeit hatte sich in ihr festgesetzt. Als der grüne Blick zu ihren Augen zurückkehrte, fühlte sie sich plötzlich nackt, einer Kamera ausgesetzt.Er wird sich an meinen eingefallenen Wangen sattgesehen haben, an meinem aufgedunsenen Bauch, meinen Brüsten, die eher zwei gänsefedergefüllten Kissen gleichen. Wenn er mich so ansieht, wer weiß, mit wem er mich vergleicht. Er kann unmöglich nicht bemerken, dass alles, was ich ihm erzähle, mit Liebe zu tun hat. Etwas ist in seinem Blick, was mich erotisiert. Blödsinn. Ein paar Monate, nachdem Anna bei Kriterion angefangen hatte, heiratete Terry einen Gynäkologen, den sie kennenlernte, als sie eine Abtreibung vornehmen ließ. Der Arzt war gut situiert, wohnte in einer Villa in der Ana Ipătescu, einem ehemaligen Haus seiner Eltern, das verstaatlicht worden war. Jedes Mal, wenn ich sie besuchen ging, war ich schwer beeindruckt von dem Bücherregal mit seinen Blumenschnitzereien aus Kirschholz und dem riesigen, auf das Schlafzimmerparkett gestreckten Bären. Ich fühlte mich dort wohl, auch wenn der Arzt dauernd über Musik redete. Er liebte Musik, besonders Konzerte. Er ging jede Woche in die Philharmonie und die Sala Dalles. Seine Gespräche waren regelrechte Musikkritiken, die er aus dem Stegreif vortrug, für alle Komponisten fand er ungefähr die gleichen Worte und war zufrieden über seinen tiefen Einblick in die Materie. Gustav Mahler war sein Lieblingsthema, wie bei jedem Spießer, der etwas auf sich hält. Ich dachte an Terry, sie war so lebendig, sie hätte einen Partner gebraucht, der ihr das Wasser reichen konnte, der mit der
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