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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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schneller die Lust daran verloren als ich, in dem Augenblick nämlich, als sie begonnen hatte, beeindrucken zu wollen. Ich weiß nicht, habe ich dir erzählt, dass Terry sich von ihrem Gynäkologen scheiden ließ, noch bevor sie von Kriterion wegging? Sie hat sich seiner entledigt, so wie sie sich Schritt für Schritt aller Pflichten entledigte, die sie vom Schreiben abhielten. Sie suchte nur noch Orte und Menschen auf, die sie literarisch weiterbrachten. Sie raffte Ereignisse an sich, sammelte sie heimlich, um mit ihnen ihre Literatur zu spicken. Sie mied mich manchmal eine ganze Woche lang, wollte mich nicht sehen, wenn ich sie zufällig auf den Wegen im Botanischen Garten erblickte, wie sie Hand in Hand mit Rudi spazieren ging, einem ehemaligen Kommilitonen; ich erfuhr nie, in welcher Beziehung sie zu ihm stand. Aus der Entfernung sah ich sie wie in einer Strophe von Heine, an die ich mich immer in romantischen Momenten erinnere: Es waren zwei Königskinder, Sie hatten einander so lieb, Und konnten zusammen nicht kommen, Das Wasser war viel zu tief. Ich glaube, Rudi war für sie das, was die Dichter eine Muse nennen. Diese Sorte Beziehung ist wohl eher so etwas wie ein Angebot, eine Art imaginärer Affäre, sie nimmt einen viel mehr in Beschlag als eine wirkliche, greifbare Liebe, gerade weil man sie sich selbst erschaffen hat. Die wir uns dafür auserwählen, wissen nicht, dass sie in ihrer Abwesenheit benutzt werden, darin liegt eine grenzenlose Besessenheit, eine totale Freiheit, die nirgendwo hinführt. Es eröffnet dirtausend Wege und kein Ende – ich habe keinen Zweifel, dass die Dichter die größten Masochisten sind … Weiß er wohl, dass hier von ihm und von mir die Rede ist? Die letzten Jahre bei Kriterion waren bedrückend. Ich ging ohne jede Begeisterung zur Arbeit. Terry vertraute sich mir nicht mehr an. In meinen böswilligen Momenten erschien sie mir wie eine große rote Katze, die ihre Exkremente im Sand verscharrt. Nach der Geschichte mit Solschenizyn wurde ich zum Direktor gerufen, und man teilte mir mit, dass ich bald nur noch halbe Norm arbeiten würde. Sie versetzten mich dann in die Öffentlichkeitsarbeit. Ich fühlte mich degradiert. Meine Gedichte veröffentlichte niemand mehr, im Verlag begannen alle, mich zu meiden. Ich übersetzte deutsche Bücher für Vorschulkinder. Monika kann Liedchen singen/Rosi kann dir Blümchen bringen. Ich weiß noch, wie ich mir das Hirn zermarterte, um die gefürchtete Paarung der Silben ka und ka zu vermeiden, aber dann ließ ich es so. Eins der dümmsten Vorurteile der rumänischen Intellektuellen ist ihr unermüdlicher Kampf gegen die Kakophonie. In der Literatur der fortschrittlicheren Länder wirst du so etwas nicht finden. Mehr noch, sie kultivieren sogar eine gewisse Nachlässigkeit in der Sprache, nur aus Liebe zu einem natürlicheren, mündlicheren Ausdruck. Wir mit unserer Umständlichkeit, unseren Periphrasen, wir werden immer mehr zu Prinzipienreitern, gezierten Äffchen, zu Gecken. Apropos Westen. Meine Mutter hat noch eine andere Platte parat, die sie jedes Mal auflegt, sobald wir über die Unverschämtheiten sprechen, denen wir auf Schritt und Tritt begegnen. Sie, die Ende der Dreißiger in Deutschland, in Belgien, in Holland gelebt hat, als natürlich andere Zeiten herrschten, sieglaubt, alle Westler wären Adelige und die Rumänen eine Meute Dahergelaufener. Bevor ich nach Europa reiste, teilte ich ihre Auffassung, aber inzwischen empöre ich mich darüber, was andere auf unsere Kosten behaupten, wenn sie doch selbst in vielerlei Hinsicht schlimmer sind als wir. Ich werde dir eine Szene beschreiben, die ich miterlebt habe, als ich vor ein paar Monaten zu einem Kongress nach Berlin eingeladen war. Auf dem Heimweg, ich reiste im Eurocity, es waren noch ein paar Stationen bis Prag, da saßen in der Mitte des Waggons auf diesen einander gegenüberstehenden Sitzen vier blonde hübsche Jungen, vielleicht so um die zwanzig. Sie unterhielten sich laut in einer Sprache, in der ich eine Menge deutscher Worte erkannte, aber ich verstand nicht besonders viel. Ich dachte, die Jungen sprechen wahrscheinlich einen mir unbekannten Dialekt. Hin und wieder durchströmten ihre Rülpser und lautstarken Darmwinde den ganzen Waggon, dabei gaben sie grunzende Lachsalven von sich und pfiffen und trampelten wie bei einem Michael-Jackson-Konzert. Die anderen Passagiere sahen aus dem Fenster, verspeisten manierlich die Butterbrote aus ihren Reisetaschen, in ihren

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