Die Sechzigjaehrige und der junge Mann
unter diesem Zwang mit heimlicher Wollust in mir anstaute, um es eines Tages publik zu machen. Nie hat mich die Hoffnung verlassen, dass ich von diesem makabren Karneval noch einmal Zeugnis ablegen würde. Du siehst ja, in meinen Büchern kann ich diese hässlichen Ereignisse nicht übergehen, sie haben mein Gedächtnis verstümmelt. Ich ertrug meine Versetzung zu Volk und Kultur nur schwer, Terry war nicht mehr bei mir. Wir sahen uns einige Male flüchtig zum Essen, unsere Treffen bekamen etwas Konventionelles, wurden uns beiden peinlich, wir hatten einander nichts mehr zu sagen. Als moralischen Urheber unseres Bruchs verdächtigte ich ausschließlich mich, denn genau zur Zeit ihres Aufstiegs ging es mit mir bergab. In dem Büro, in dem ich jetzt arbeitete, gab es einen Jungen, er war der Einzige, der Rumänisch sprach. Er schien einfach ein dürrer, hoch aufgeschossener Junge zu sein, mit blauen Augen und strubbeligem Blondhaar. Erst später erfuhr ich, dass seine Mutter in der Redaktion Putzfrau gewesen war. Der Chefredakteur hatte ihn mehr aus Mitleid eingestellt, obwohl er nicht ein Wort Deutsch sprach. Alle vermuteten, dass er unser Haus-Securist war, wir fingen an, ihn zu lieben, er gehörte zur Familie. Seine Bescheidenheit hätte jeden Eisblock zum Schmelzen gebracht. Er hatte einen gesundenMenschenverstand, eine angeborene Höflichkeit und eine Art zuzuhören, die einen geradewegs zu Geständnissen nötigte. Obwohl auch ich glaubte, was die anderen zu wissen meinten, erzählte ich ihm alles. Ich schenkte unserem Altersunterschied keine Beachtung, vor ihm empfand ich weder Angst noch Scham. Manchmal ließ ich es darauf ankommen, ich spürte in mir eine teuflische Lust, ihn auf die Probe zu stellen, zu sehen, ob jemand wirklich so hinterhältig sein konnte. Alles, was ich über mein elendes Leben dachte, servierte ich ihm auf dem Silbertablett. Er aber nahm meine Bekenntnisse nur wie einen persönlichen Lohn in Empfang und bediente sich ihrer nie, um irgendetwas zu erreichen. Siehst du, es wird so viel geredet, manchmal muss man sich wirklich wundern. Später bekam ich Terry gar nicht mehr zu Gesicht. Nein, lass mich nicht lügen, auf dem Weg, der hinter der Leninstatue an der Casa Scînteii vorbeiführt – nachdem ich dort so schlimme Arbeit verrichtet habe, kann nicht mehr Haus der Freien Presse dazu sagen –, sah ich sie manchmal von Weitem, ihr rotes Haar strahlte so eine Fröhlichkeit aus, dass ich annahm, sie sei gewiss sehr glücklich, bis ich sie eines Tages Trauer tragen sah, eine schwarze Pelerine über den Schultern, die bis zu den Knöcheln reichte. Ich wollte mich ihr damals nähern, ihr etwas Ernstgemeintes, Liebes, Warmherziges sagen. Aber sie warf mir einen so schneidenden, abweisenden Blick zu, als würde sie mich in diesem Augenblick dafür hassen, dass ihr, nicht mir ein Unglück zugestoßen war. Später erfuhr ich, dass ihre Mutter gestorben war. Was wäre über Terry sonst noch zu sagen, alle ihre Kollegen, die ich zufällig auf der Straße traf, sprachen von ihrer Ausstrahlung, ihrem Talent, ihrerGroßzügigkeit. Ich war verwirrt. Ich verstand mich selbst nicht mehr. Warum sah ich sie in einem anderen Licht? Wie konnte es sein, dass die anderen nicht bemerkten, was ich hatte feststellen müssen? Vielleicht war es ungerecht von mir, dass ich sie sogar jetzt beneidete, da sie Trauer trug. Ich bekam es mit der Angst zu tun, verstehst du, wenn man nach dem Guten eines Menschen schielt, dann riskiert man, auch das Schlechte zu bekommen. Vielleicht war Terry eine Schildkröte, und man musste ihren Panzer aufbrechen, um zu sehen, was sich darunter verbarg. Inzwischen hatte sie auch das Vertrauen der Partei gewonnen. Sie erhielt die Genehmigung, ins Ausland zu reisen. Mit ihrer unvorhersehbaren Art erweckte sie immer den Anschein, sie gäbe irgendwelche Versprechungen; sie ermutigt dich, um dir gleich darauf ohne jede Erklärung den Rücken zu kehren, oder doch, sie hat eine Erklärung, sie ist immer sehr beschäftigt. Ich wollte, du würdest ihre Bücher lesen. Sie sind verwirrend, wie ihr ganzes Wesen, sie haben eine Art vorgetäuschte Naivität, mit einer großen Lupe hält sie auf alles Unbedeutende, um ihm eine Bedeutung beizumessen, die es nicht besitzt. Ich glaube, ich langweile dich, wenn ich so viel über Terry spreche. Eines Tages, als ich noch im Verlag arbeitete, waren wir in der Calea Victoriei in einem kleinen Geschäft, in dem man Nagellack und Ohrringe kaufen und Knöpfe
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