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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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ist ein Stier, und ich bin eine Gans. Wenn du noch Zucker möchtest, nimmtdir, hier ist die Zuckerdose. Wenn ich ihm ein Glas Kognak gebe, wird er dann zufrieden sein, ich fordere ihn nur noch mehr heraus, und wenn ich die Flasche auf den Tisch stelle, bekomme ich Angst. Ich bin schrecklich ungerecht, ich habe ihn mir erfunden, und jetzt urteile ich ihn ab, so schwanke ich immerzu, ich bin eine Ampel, mal rot, mal grün, all diese Vorsätze, die man mit der Schere entzweischneidet, wie das Band bei der Einweihung, sie schmerzen so sehr, es ist, als spräche ich vom Tod – statt ihm zu danken, dass er mir immer so tapfer zur Seite steht, sobald der Zufall uns zusammenführt, er mir meine Jugend zurückgibt, er mich meine Schönheit und Freude wiederfinden lässt; statt ihn bedingungslos neben mir willkommen zu heißen wie einen echten, einzigen Freund, verzerre ich sein Bild, lasse ihn so sein, wie ich es will, ganz nach meinen Launen, denn er ist mein Geschöpf.
    Beide nippen wir ruhig an unserem Kaffee. Sie will ihren Gedanken entfliehen; so wie man eine Blumenvase von der Mitte des Tisches entfernt, wenn die Suppe serviert wird, so kommt sie auf Terry zurück, ihren Rettungsring. Ich war dabei zu erzählen, dass ich mit ihr in der Calea Victoriei war, sie wollte sich Knöpfe kaufen. Sie ließ sich gerade ein Kleid bei einer Schneiderin anfertigen, die in der Griviţei wohnte. Dort gingen wir zusammen hin. Während ihrer Anprobe nutzte ich die Gelegenheit, die alten Möbel im Zimmer zu betrachten. Es war, als kehrte ich in meine Kindheit zurück, in das Haus in der Dionisie Lupu, wo meine Großmutter wohnte und ich im Wohnzimmer am Nussbaumtisch auf das Dienstmädchen wartete, auf ihr Silbertablett und die beschlagenen Gläser mit Rosenscherbett, in denen die langen Löffelchen klirrten. Unddort, an der rechten Wand, die Anrichte mit den abgerundeten Kanten und den elfenbeinfarbenen Türgriffen, und das hohe Tischchen mit den Brenngravuren, auf dem das schwarze Ebonit-Telefon stand. Dann gab es noch die beiden tiefen Sessel mit den weißen Hussen, und das Kanapee mit willkürlich darauf verteilten Kissen in allen Farben, und die oltenische Webdecke an der Wand, und die Blumenbilder, und den seltsamen Geruch nach Basilikum und Naphtalin, und vor dem Fenster thronte die Singer-Nähmaschine. Alles war an seinem Platz, ich hätte schwören können, dass in der linken Schublade des Sekretärs die Tarotkarten und darauf das Lorgnon lagen. Als wir gegangen waren, sagte Terry: Weißt du, warum ich so gerne zu dieser Schneiderin gehe, weil dort alles nach Großmutter riecht. Etwa ein Jahr nach meiner Versetzung zu Volk und Kultur wurde Terry zur Chefredakteurin der Neuen Literatur befördert, der Posten, auf den sie schon seit ihrer Studentenzeit heimlich spekuliert hatte. Sie hatte eine teuflische Hartnäckigkeit. Vielleicht gerade, weil Arpad Kövary nichts gelungen war, gelang ihr alles. Eine Art Tauschhandel mit Gott, so scheint es, wir bezahlen für die Freuden unserer Eltern, oder umgekehrt, wir werden für die Leiden unserer Eltern bezahlt. Bei keiner Glückssträhne kann ich mich richtig freuen, weil ich weiß, ich muss dafür bezahlen. Manchmal habe ich Angst vor den Büchern, die ich schreibe; in den Büchern geben wir unsere Vorahnungen preis, und die Hände zittern uns nicht einmal dabei. Wie oft hat Gott einfach durchgewinkt, was ich auf dem Papier erfunden hatte, hat blind unterzeichnet, und es ist häufiger und genauer in Erfüllung gegangen als meine Träume. Zum Beispiel Frau Oprişan,du weißt schon, die Figur aus meinem letzten Buch, die Borschverkäuferin aus dem Erdgeschoss, als ich den Roman schrieb, hatte sie keinmal meine Wohnung betreten, ein paar Monate später fing sie an, täglich hereinzuschneien, bei mir ihre Fernsehserien zu schauen und mir von ihren Sorgen zu erzählen, genau so wie ich sie beschrieben habe. Wie soll man da nicht Angst bekommen? Weißt du, wenn ich ein Poem verfasse und dabei irgendeinen Vers schreibe, in dem konkrete Einzelheiten über meinen Tod vorkommen, etwa »eines Donnerstags bei Regen in Paris«, oder »gegen fünf an jenem Abend«, dann lösche ich diese Zeile schnell wieder, aus Angst, sie könnte in Erfüllung gehen. Ich wollte dir etwas erzählen, und ich weiß nicht mehr was, im Zusammenhang mit Terry. Seit sie zur Neuen Literatur gegangen war, sah ich sie noch seltener als vorher, vielleicht, wer weiß, kreuzten sich unsere Blicke bei der ein oder anderen

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