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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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Sitzung im Kulturrat, aber meistens gingen wir einander aus dem Weg, so als fühlten wir uns voreinander schuldig, unsere Gesichter verrieten und beschämten uns. Seit damals war es uns nicht mehr gelungen, diese unangenehme Maske abzulegen und uns wieder unsere wahren Gesichter zu zeigen. Immer diese Obsession. Eine Zeile von Cezar Ivănescu kommt mir in den Sinn: »Als ich jung war und mein Körper rein«, es ist seltsam, dass sie jetzt so plötzlich auftaucht. Diese Zeile überrascht mich öfter mal, ich weiß nicht, woher sie kommt und warum sie meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Terry gönnte sich keinen Augenblick Ruhe mehr für ihr Privatleben. Sie war viel zu sehr vom Schreiben in Anspruch genommen. Ich glaube, sie liebte ihre Figuren mehr als ihre Männer. Ich weiß noch, wie sehr ich litt,als sie mich gegen die UTC-Sekretärin austauschte. Jeni war ein einfaches Mädchen, dunkel und mit einem grobem Knochenbau, der ihre Herkunft ahnen ließ. Sie kam von irgendwo aus der Provinz, bestimmt hatten sie in ihrem Hof das Dorflädchen und einen Brotofen eingerichtet. Sie war schlau, sie legte mit großer Geschicklichkeit überall dort Hand an, wo es ihr profitabel erschien, wie eine Zigeunerin auf Raubzug, wieder eine Gedichtzeile. Ich weiß nicht, was heute mit mir los ist. Wenn ich darüber nachdenke, war Jeni eigentlich eine Art Terry in vereinfachter Ausführung. Vielleicht hatte die beiden gerade das einander nähergebracht. Sie wurden unzertrennlich. Sogar ihre Bekannten glaubten, sie wären zusammen, in ihren Augen waren sie unteilbar geworden. Und eines Tages erfuhr ich, dass Jeni diesen jungen blonden Kollegen geheiratet hatte, mit dem ich Terry manchmal in den Alleen des Parks gesehen hatte, und ich dachte an das Gedicht von Heine. Ich werde nie begreifen, wie Jeni ein solcher Zug hatte gelingen können. Ich weiß nicht einmal, ob sie Freundinnen geblieben sind. Aber Terry hatte dieses Terrain ohnehin schon wieder hinter sich gelassen, sie war bereits ein paar Etagen weiter oben angelangt. Die Leute erzählten sich so manches über sie, du weißt, wie man in unseren Kreisen zerpflückt wird, wenn man es wagt, seine Nase etwas höher zu strecken. Aber niemand wusste etwas Genaues, sie war äußerst verschwiegen. Ich hatte sie rein zufällig am Meer gesehen, mit einem rumänischen Dichter, ich glaube, er war einer aus der Gruppe der Equinoxisten, ihre Freundschaft schien ziemlich undurchsichtig. Vielleicht glich sie ihre Ernsthaftigkeit aus, wenn sie nach Italien und später auch nach Österreich geschickt wurde, wosie inzwischen bekannt geworden war. Sie hatte dort auch schon zwei Preise bekommen. Vielleicht war es auch ihr ungarischer Name, der ihr die Pforten Wiens so schnell öffnete. Ihr Freund, der Equinoxist, hegte eine Zeit lang die Hoffnung, dass er durch Terry die Gelegenheit erhalten würde, in den Westen zu reisen, aber nach der Revolution, als alles möglich geworden war, weigerte sie sich, das Land zu verlassen. In der Zeit, als wir uns noch trafen, hatte sie mir gesagt, sie könne dort nicht leben, weil die Menschen dort andere Erinnerungen hätten als wir. Siehst du, wie raffiniert ihre Gedanken waren? Emil, so hieß der Dichter, bedeutete ihr bald nichts mehr, und sie hörte für ihn auf zu existieren. Ihr Gedächtnis war bereit für andere Erinnerungen. Er heiratete 1992 eine junge Absolventin vom Konservatorium, die an der Oper ein Engagement als Korrepetitorin bekommen hatte. Wie banal einem all die Dinge erscheinen, die einen früher so sehr erregt haben. Nichts bleibt erhalten, nur die Zeit, die einen zwingt, sich zu prostituieren. Obwohl wir uns nicht mehr sahen, obwohl unsere einzige Verbindung, du wirst lachen, die im Grunde sehr starke Verbindung, diese beinah lesbische Beziehung zwischen Autorin und Übersetzerin war, ja, nur dort, in der Einsamkeit des Papiers, stieß ich noch auf die wahre Terry, auf jene Terry, die mich nie enttäuscht hatte. Ich weiß nicht, warum ich dir so viel über sie erzähle, ausgerechnet ich, die ich immer geglaubt habe, dass Erinnerungen für mich nie einen anderen Zweck erfüllen werden, als Literatur hervorzubringen. Aber es ist so lange her, dass ich nicht mehr an sie gedacht habe, und weißt du, ich habe das Bedürfnis, dir von ihr zu erzählen, weil du in diesem Zimmer eine so persönlicheAtmosphäre geschaffen hast, du bringst mich dazu, mich zu erinnern. Wirklich, meine Erinnerung an die erste Entdeckung unserer Verschiedenheit ist noch ganz

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