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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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klar. Ich glaube, wir lagen in Zagna Vădeni im Gras vor der Lehmhütte, es war eine jener fast unwirklichen Nächte, in denen sie anfing, mir von ihren Mitschülerinnen am Lyzeum zu erzählen, mit denen sie sich alle zwei, drei Wochen getroffen hatte, ins Kino gegangen war, in eine Café-Bar, sie hatten sich Besuche abgestattet, hatten jeweils mit dem Freund der anderen geflirtet; dich habe ich nie von einer Freundin sprechen hören. Hast du keine Mitschülerin, mit der du dich manchmal treffen möchtest? Nein, wenn ich einen Ort verlasse, dann breche ich für gewöhnlich alle Verbindungen hinter mir ab. Erinnerungen sind so etwas wie Bänder, die dich zurückziehen, und ich habe es immer gemocht, vorwärtszugehen, selbst wenn es ins Verderben führt – war ich ehrlich, als ich das sagte? Deshalb habe ich normalerweise auch nichts zu erzählen. Anna schweigt einen Augenblick, sie wartet auf seinen Blick, sie ist neugierig zu sehen, ob er ihr zustimmt oder nicht. Der Blick fällt auf ihre Augen, langsam und sanft, so wie der Abend auf die Gegenstände niedersinkt und sie anders erscheinen lässt, als sie in Wirklichkeit sind. Ja, ja, du provozierst mich mit deiner schweigenden Anwesenheit, du bist der moralische Autor dieser Bekenntnisse. Wieder ist sie verlegen, fürchtet zu viel gesagt zu haben. Aber er gibt keinen Hinweis darauf, dass er verstanden hätte. Anna ist ihm fast dankbar dafür, dass er alles für sich behält, aber es tut mir weh, ihn wie eine Tapete anzusehen: dünne, krumme Linien, andere winzig, leicht gebogen, und die dunkle Warze auf seiner Nase – was hat sie bloß anihm gefunden –, nachts, nachdem ich das Licht gelöscht habe, umsonst, nichts mehr von diesen spitzen Wangenknochen, dem roten Bürstenhaar, als wäre er eine Maus, dieses Gesicht lässt sich nicht wieder zurückholen, wenn ich die Lider schließe … Lerne seine Züge auswendig, wiederhole sie, damit du sie nicht vergisst, so wie du im ersten Semester englische Vokabeln gepaukt hast … Terry machte mich damals mit ihrem Securisten-Kellner verrückt, sie bestand so sehr darauf, sich hervorzutun, dass sie das Opfer spielte – das tat man zu der Zeit so – und auch heute tut man es noch und zieht Profit daraus. Er hielt ihr wieder das Zigarettenpäckchen hin. Anna zögerte, wenn ich mehr als drei Zigaretten rauche, habe ich Angst, dass ich wieder anfange. Und mein Herz, und das Schwindelgefühl, und die Kehlkopfentzündung, all diese furchtbaren Fallen, die ich immer vergesse, sobald er seinen Blick auf mich richtet. Aber es war ja das einzige Laster, das sie sich gemeinsam gönnten. Anna nimmt eine Zigarette, er kann sein Feuerzeug nicht mehr finden und zündet ihre mit seiner an. Dieses Ritual der Feuerübergabe zwischen Mann und Frau … Anna schließt die Augen und zieht den Rauch tief in die Lungen. Dann geht sie zum Radio, drückt auf den Knopf, Richard Strauss, Tod und Verklärung . Das magische Auge hat einen rötlichen Schimmer an der Zimmerdecke erhascht – die Sonne ist dabei unterzugehen – ein Spiel von Grün und Rot –, wie seltsam, die beiden Farben der Ampel, Geh und Steh. Anna ist neugierig, wer von ihnen zuerst passen wird. Richard Strauss ist einer ihrer Lieblingskomponisten. Er hat eine Art Hang zum Dekorativen, er lässt mich an Klimt denken, ich meine damit, er versteht es, märchenhafte Effektezu schaffen, vielleicht ist er ein wenig formal, oberflächlich, aber ich mag diese Künstler, die das Kostüm für ebenso wichtig erachten wie den Körper. Glaub mir, eines Nachts rief sie mich mit Nino um drei Uhr zu sich, um uns zu zeigen, dass die Pantoffeln verkehrt herum neben ihrem Bett standen und ihre dunkelrote Weste mit dem Rücken nach vorne über der Stuhllehne hing, wie bei einem Chirurgen – sie roch nach Alkohol –, ich glaube, das habe ich dir schon gesagt … ja, ja, ich vergegenwärtigte ihn mir wie in der Englischstunde: What is this? This is the door. What is this? This is the window. So: Drei parallele Linien auf der Stirn, ein weißes Haar, das aus seiner linken Augenbraue sticht, der Zahn rechts, der ein wenig auf die Unterlippe beißt. How old are you? Das magische Auge starrt noch ein wenig zur Decke, obwohl der rötliche Fleck verschwunden ist. Dracula reibt sich an seiner Hose. Mir scheint, wir haben diese Szene schon einmal erlebt. Alles ist genau so, das Licht im Zimmer und meine Hand, die sich mit der Zigarette dem Mund nähert. Und genau diese Akkorde, und wie ich mich ans Regal

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