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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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Kaffeedose ins Zimmer, stellt sie auf den Tisch und greift mit der Hand nach den Bohnen, die sie aufmerksam durch die kleine Öffnung im Deckel prasseln lässt. Anna meidet moderne Haushaltsgeräte wie das Feuer. Wahrscheinlich kommt auch das von ihrem primitiven Instinkt, der sich nicht zähmen lassen will. Sie verschließt die Kaffeemühle, setzt sich in den Sessel, nimmt diesen goldenen Metallzylinder zwischen die Knie und beginnt zu mahlen. Der grüne Blick scheint sich immer köstlicher zu amüsieren. Jetzt wird er schräg, wie bei den Chinesen, seine Wangen richten sich auf, als würden sie von Gummibändern gezogen, und der Mund verbreitert sein Lächeln. Was für ein Bild hat er jetzt wohl vor Augen? Sicher sieht er eine Omi in obszöner Haltung; die Scham kann einem manchmal Übelkeit bereiten, er sieht, wie ich mich mit der Kaffeemühle plage, und bietet mir an, zu helfen, ich weiß nicht, was los ist, seine Freundlichkeit macht mir jedes Mal Angst, ich fürchte, er zieht mich auf; gestern Abend bei der Präsentation auch: Wie gut ich mich mit Ihnen verstehe,besser als mit allen meinen Freunden, was ich Ihnen hier sage, habe ich noch nie jemandem gesagt, Omi glaubt’s und errötet, er geht dreimal wöchentlich zum Astronomie-Professor, sitzt dort sechs Stunden, vergisst dort die Zeit über all dem Gerede, mit Marinescu verbringt er eine ganze Woche, trinkt Wodka, ein Glas, zwei, sieben; ich sehe doch, er redet nur mit ihnen, »Was such’ ich hier, wo bin ich hier und gar mit wem?«, wie Maria Tănase singt, und der Astronom ist ein genialer Dichter, und Marinescu ist ein genialer Dichter, und ich bin eine geniale Dichterin, wie soll ich da seinen Lobeshymnen glauben, in denen er sich bei solch einer Gelegenheit ergeht: Sie haben gestern um zwei eine Verabredung mit einer Journalistin aus Deutschland gehabt, ich habe sie kennengelernt, und sie hat mich abends zu sich nach Hause eingeladen … eine unwesentliche Sache, mich hat die Journalistin auch um zwei zu sich nach Hause eingeladen, Gespräche über Thomas Mann, wir haben uns angefreundet, ich sehe das billige und breitgewalzte Eigenlob, vielleicht lügt er, wer weiß, wie sehen mich wohl seine Freunde, er sagte, er habe sich mit Danielescu getroffen, und sie hätten über mich gesprochen, am nächsten Tag sagte Danielescu, Anna, ich habe nicht einmal deinen Namen erwähnt. Die Kurbel der Kaffeemühle dreht sich in seiner Hand ohne zu mucken, ein bisschen noch, und er ist fertig. Könnte er meine Gedanken lesen, alles wäre schnell vorbei, und ich wäre schuld, denn ich hintergehe ihn schlimmer als er mich, ich lasse ihn glauben, er sei jemand, dem ich blindlings vertraue, und dabei ziehe ich ihn die ganze Zeit in den Schmutz, und ich habe ihm auch noch gesagt, ich sei nicht besitzergreifend. Entschuldige mich einen Augenblick,ich gehe den Kaffee machen. Sie nimmt zwei Tässchen aus dem Schrank, füllt den Ibric mit Wasser, zündet die Gasflamme an, gibt zwei gehäufte Teelöffel Kaffee hinzu und einen mit Zucker. Sie stützt sich auf den Tisch, betrachtet die Pappel, sie hat begonnen ihre Blätter zu verlieren, so wie ich meine Haare. Wenn das so weitergeht, bin ich in einem Monat kahl, ich hoffe immer noch, dass es aufhört, ich glaube noch an Wunder, so wie ich auch daran geglaubt habe, ich könne noch jemanden geistig oder seelisch für mich einnehmen, ich trinke nicht mehr, ich rauche nicht mehr, ich habe keine Chance. Ohne Alkohol und ohne Zigaretten ist der Geist uninteressant, Gesundheit oder Vergnügen, das ist die entscheidende Frage, wo kommt das Vergnügen her, gibt es eine spezielle Drüse dafür, oder kommt es direkt aus dem Geschlecht, ich habe gelernt, dass die Funktion das Organ entstehen lässt, aber die Funktion stirbt vor dem Organ. Am Rand des Ibric’ beginnt der Schaum zu zischen. Anna nimmt ihn schnell vom Feuer. Ich glaube, das ist das Ungerechteste, das uns im Leben passiert, dass die Funktion vor dem Organ stirbt, sie gießt den Kaffee in die Tassen, das macht uns böse, neidisch, misstrauisch. Der Kaffee ist fertig!, ruft sie, aber er blättert in einem Bildband über Vermeer. Anna bringt die Tassen auf einem Silbertablett herein, sie will ihn beeindrucken, auch wenn sie immer deutlicher spürt, dass er einer vollkommen anderen Welt angehört als sie, ich hätte es von Anfang an wissen sollen, schon vom Körper her, er ist überhaupt nicht mein Typ, ich habe gleich das Gefühl gehabt, wir entstammen verschiedenen Spezies, er

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