Die Sechzigjaehrige und der junge Mann
ihr nicht, aber sie trinkt, um zu den normalen Gesten und Gedanken zurückzukehren und wieder in eine angenehme, sanfte Gemütlichkeit zu sinken. Sie sieht den grünenBlick gar nicht mehr, fühlt ihn nicht, so wie man nach dem Einschlafen die Mückenstiche im Gesicht nicht mehr bemerkt. Zwischen ihnen herrscht eine Stille, als wenn die Gedanken aufhörten und man nur noch ein Zustand wäre, der den Raum erfüllt, wie ein Parfüm. Wäre sie zwanzig, würde sie jetzt, in dieser Stimmung, wahrscheinlich ihren Unterleib pulsieren fühlen, ihre Körper würden sich einander nähern, er würde sich über sie legen, so wie Mond und Erde sich in der Eklipse ineinander verlieren, sie würde so gern die Augen schließen. Wie im Traum streckt sie die Hand nach dem Feuerzeug aus. Ich liebe dieses Feuerzeug. Es ist hart und schwer, zylindrisch und immer heiß … er ist verlegen. Er weiß, alles was ich sage hat einen doppelten Sinn, er weiß, worauf ich hinaus will, er kennt meine Schwäche. Ich halte das Feuerzeug umfasst, das Metall ist noch ein wenig feucht von seiner Hand. Er dringt mit seinen Augen in die meinen. Ich würde das Feuerzeug gerne in den Mund nehmen, kann dieser Lust kaum widerstehen. Terry sagt, die mit den großen Schuhgrößen sind am besten – sie muss es wissen, Dimi trägt 46 … Anna kratzt gedankenverloren mit dem Fingernagel über den Fliegendreck auf der Glasscheibe des Schreibtisches. Hast du jemals körperlich an mich gedacht?, hört sie sich sagen. Der grüne Blick ist das Ziffernblatt einer Uhr ohne Zeiger. Das Schweigen wird unerträglich. Was auch immer er sagt, es würde mich beleidigen, aber Terry damals mit Dimi in Marietas Wohnung, mal wollte sie, mal nicht, aber er war ohnehin schon eingedrungen und bewegte sich vor und zurück wie ein Hund, sie sagte im Stillen das Einmaleins auf, um ihre Wollust im Zaum zu halten, und plötzlich begann ihre Kehle wie von allein zu stöhnen, und seine großen Hände ließen ihre Hinterbacken hüpfen, sie glaubte, gleich durch die Decke zu fliegen, die Lust hatte wieder einmal gesiegt. In Gedanken legt Anna seine behaarte Hand auf ihre fest gewordene Brustwarze. Diese idiotische Willenskraft taugt nichts , hört sie Terry sagen … und die Hand öffnet sich feucht, als hätte er hineinejakuliert. Anna wusste, dass seine Hände feucht waren, und sie empfand Ekel; Dimi hat Augen am Hinterkopf, er merkt es gleich, wenn er verfolgt wird, sagt Terry. Er zieht mechanisch das Taschentuch hervor und wischt sich die Hände ab. Wenn er auf mir ist , sagt wieder Terrys Stimme, dann fühle ich seinen Schweiß in den Achselhöhlen, und da unten macht er meine Klitoris nass, wie eine Zunge, weißt du, Angst ist genauso erregend wie Sex. Ich wusste es … was war das? Ich bin eingenickt. Mir ist, als wäre ich woanders gewesen, ich glaube, ich habe geträumt. Ich muss unbedingt das Thema wechseln. Dutzende Male habe ich jetzt nichts anderes getan, als mich selbst der chinesischen Tropfenfolter auszusetzen … sie springt plötzlich aus dem Sessel auf und schüttelt sich wie ein von Fliegen geplagtes Pferd. Soll ich dir etwas aus meinem letzten Poem vorlesen? Sie geht zum Regal und zieht ein paar Schreibmaschinenseiten heraus. Dann trinkt sie noch einen Schluck Bier, nimmt eine Zigarette, er ist auf dem Posten wie immer, gibt ihr Feuer, zündet sich auch eine an. Sie rauchen ein paar Züge, sie sieht den Text durch, als wolle sie noch etwas ändern, nervös wie ein Schüler, der befürchtet, die Prüfung nicht zu bestehen. Ich habe es mir anders überlegt, ich lese doch nichts vor. Ich bin sicher, für eure Generation bin ich sowieso nur eine veraltete Dichterin mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum. Aber denkst du denn, ich ließe keine exzessiven Anzüglichkeiten mehr sprießen wie ihr, nur weilAltersscham oder die Angst vor Spott mich davon abhielten? Falsch gedacht, ein Mensch, der keine Schuldkomplexe hat, hat nichts zu verbergen. Aber mit mir geschieht etwas anderes. Ich glaube, ich bin es nicht gewohnt. Bei uns zu Hause wurden keine obszönen Wörter ausgesprochen, wenn ich an Sex denke, oder an den Geschlechtsakt, oder an das männliche Glied, dann nenne ich sie auch in Gedanken nicht beim Namen. Du kannst dir denken, dass es für mich unmöglich ist, in der Lyrik ihre vulgären Bezeichnungen zu verwenden; nicht weil ich mich zensiere, sondern weil es sie in mir nicht gibt, ich würde mich verbiegen. In diesem Fall ist die Metapher bei mir das Natürlichste. Das
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