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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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sind. Ihre Liebe war so schön und absolut, dass ich ihnen unsere Wohnung überließ, als ich mit Nino in die Ferien fuhr. Ich musste ihnen helfen, man sah ihnen die Liebe an, sie schienen füreinander wie geschaffen. Mensch Anna, hör mit diesem Blödsinn auf, ich dachte, du wärst etwas zeitgemäßer. Das ist kein Blödsinn, sie hat mir von ihren Treffen im Cişmigiu-Park erzählt. Nur Frischverliebte empfinden am Anfang so wie Jugendliche. Wer verkriecht sich heute noch mit seiner Liebe ins heimliche Parkdickicht? Glaubst du etwa … Du kannst so anachronistisch sein, hast du vergessen, dass im heimlichen Parkdickicht Vergewaltigungen stattfinden, sexuelle Perversionen, Morde? Glaubst du, nur weil du ein paar Blätter über dem Kopf hast, zack, schon bist du im Paradies? … Woher, aus welchen Tiefen kommt dieser Schrei? Das Gebüsch, wieder das Gebüsch im Garten des Schriftstellerverbandes, und sie mit Dimi im Schlamm, von allen Seiten beschmiert mit ihrer abseitigen Liebe. Aber sie haben sich wirklich geliebt, ich glaube, sie lieben sich immer noch. Sie hat mir gestanden, er habe sie zum ersten Mal fühlen lassen, dass sie eine Frau ist, und er sagte mir, dass sie seine Impotenz geheilt hat. Glaubst du, das bedeutet nichts, glaubst du, das macht nicht voneinander abhängig? Du redest Unsinn. Ist esdir noch nie passiert, dass ein Mann dich mehr befriedigt als alle anderen, und während du Liebe machst, träumst du von einem, der dich intellektuell rannimmt? Du hast recht, ich weiß schon, aber das heißt nicht, dass du am Ende nicht doch mit dem Ersten zusammenbleibst. Glaubst du etwa, ein Dichter wie er kann einer Frau keine geistige Befriedigung geben? Was meinst du, warum sie ihn mit seinem ganzen Boheme-Gehabe erträgt, seinem Gesaufe, mit seiner Horde von Freunden, seinen ewigen Gedichten, die er in der Kneipe, im Bus, im Schlafzimmer unaufhörlich wiederholt wie ein Wahnsinniger? Sie erträgt ihn doch erst nicht mehr, seit sie in der von ihm bezahlten Wohnung sitzt, und das sage nicht nur ich, frag die anderen, sie hat ihn vor die Tür gesetzt, und der Arme kann nicht ohne sie, ich hoffe er macht nicht irgendeine Dummheit … Wir hätten auf diese Weise ganze Tage und Nächte weiterplaudern können, ohne uns darum zu kümmern, wie die Zeit davonläuft. Jemanden auf diese Weise auseinanderzunehmen regte Terry an, sie wurde zum gesellschaftlichen Mittelpunkt, ich griff ihr Spiel auf, sekundierte ihr, war die zweite Stimme, ich merkte, ihr gefiel das sehr. Eigentlich schien es, als würde sie dabei an ihren Romanen weiterarbeiten. Sie hat mir einmal eine Szene beschrieben, die sich mir wie eine Filmsequenz einprägte. Bei Terry war man nie sicher, ob das, was sie erzählte, nicht einfach frei erfunden war. Es ist, als hörte ich sie reden: Eines Sommers unternahm ich mit Radus Kollegen, ich und Radu waren damals noch nicht geschieden, einen Ausflug in ein oltenisches Kloster. Es war ein glühend heißer Sommer, und wir litten unter der Hitze. Wir baten eine Nonne um ein Glas Wasser, sie war weit übersiebzig, und ihr Gesicht sah runzlig aus wie ein Pfirsichkern. Sie brachte uns eine große Karaffe, aus der sie die Hälfte verschüttete, ihre Hände zitterten. Nachdem sie uns zu trinken gegeben hatte, fragte sie, woher wir kämen und was wir machten. Ich sagte, ich sei Schriftstellerin, sofort begann ihr Gesicht zu leuchten, und sie sagte, ihre Enkelin sei Dichterin; das Wort Dichterin sprach sie mit einem solchen Stolz aus, als sei diese Tatsache ihr zu verdanken, sonst hatte sie niemanden mehr in der Familie, aber das Mädchen war nach Schweden gegangen. Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört, gestand sie, aber ich bin glücklich, dass sie eine große Dichterin ist. Sie seufzte, drehte sich um und ging zurück in ihre Zelle. Aus den großen, abgetretenen Schuhen stakten ihre dünnen Beine in schwarzen, an den Fersen zerrissenen Strümpfen heraus, und der ausgefranste Saum ihres Rocks überließ sich wehend dem Wind. Das ist schon lange her, weißt du, sie ist eine bekannte und im Ausland geschätzte Dichterin, hat außerdem eine gute Partie mit einem großen Verleger gemacht, aber ich kann meine Abneigung ihr gegenüber nicht leugnen. Manchmal glich Terry einem Richter. Dieses Aufgetakelte ihres hin und wieder übertrieben moralischen und unnachgiebigen Wesens schien ihr Gesicht, das eingefasst von einer roten Haarmähne im Grunde genommen wie ein sommersprossiges Wachtelei aussah, auf unpassende und

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