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Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Die Sechzigjaehrige und der junge Mann

Titel: Die Sechzigjaehrige und der junge Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Iuga
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heißt nicht, dass ich die Aggressivität dieser Ausdrücke nicht anziehend finde, aber eure Texte sind wie ein Akt, bei dem der eine Partner vom anderen verlangt, unanständige Wörter zu flüstern – könnte sein, dass der Begriff des Unanständigen bald außer Gebrauch kommt – Wörter, die man nur sagt, wenn man flucht. Du kannst dir denken, wie schwer es mir fällt, sie in Gedichten zu benutzen, genauso schwer, wie es wäre, in einer Fremdsprache zu schreiben. Ich halte das beinahe für unmöglich. Ich bewundere Terry sehr, die Ungarin ist und ihre Romane trotzdem auf Deutsch geschrieben hat, wie man mir sagte, war Deutsch die erste Sprache, die sie gelernt hat. Man hat Glück, wenn man in einer Weltsprache schreiben kann, nicht nur, dass man auf der ganzen Welt Leser findet, es verändert auch deine Vision, die semantische Struktur, man ist gezwungen, einem anderen Lautmagnetismus nachzugehen und seinen Rhythmus der Weltzeit anzupassen. Ohne die deutsche Sprache hätte Terry es nie so weit gebracht. Nicht, dass ich ihr außergewöhnlichesTalent abstreiten will, aber wie viele Talente sind zwischen zwei Buchdeckeln gefangen, die keiner öffnet. Zweifellos streckte hier eine kleine Frustration den Kopf aus dem Versteck. Um heute zu Ruhm zu gelangen, muss man geschickt und rechtzeitig für Werbung sorgen. Man muss hellsehen können und wissen, welcher Fraktion die Zukunft gehört, man muss sich immer an die halten, die als Nächstes an die Macht kommen; wer sich an die Gegenwart hält, gehört zum alten Eisen, ist dazu verurteilt, vergessen zu werden. Wie würden heute wohl die Briefe an einen jungen Dichter ausfallen, wenn Rilke noch lebte? Traurig, stimmt’s? Terry kannte diese Taktiken genau. Ich sagte ja schon, dass sie Unterschriften sammelte und den Schriftsteller-Dissidenten mit Geld aushalf. Ich muss dir eine Geschichte erzählen, in die ich auch verwickelt war. Terry rief mich eines Tages an, ich glaube wir hatten seit zwei Jahren nicht mehr miteinander gesprochen, und bat mich, ich möge zu ihr in die Redaktion der Neuen Literatur kommen, sie wolle ein paar meiner ins Deutsche übersetzten Gedichte veröffentlichen. In der Metro bekam ich ein schlechtes Gewissen; du denkst jetzt wahrscheinlich, wie war das mit den Schuldgefühlen? – Ich dachte, ich hätte Terry zu Unrecht verurteilt, sie war die ganze Zeit über meine Freundin gewesen. Meine Augen wurden feucht vor Aufregung. Ich kam in die Redaktion der Neuen Literatur und wollte sie umarmen. Sie begrüßte mich lächelnd, aber ich spürte, sie war kühl und distanziert. Also, ein paar Schriftsteller haben beschlossen, dass wir Geld sammeln und Mariana Marin helfen. Sie ist aus politischen Gründen gefeuert worden, wie du ja weißt. Wir haben zwar eine Liste von denen, die mitgemacht haben, die gebenwir dir aber nicht, damit es nicht herauskommt. Ist klar, was uns dann blühen würde. Sie ist unbeherrscht und könnte plaudern. Ich erfüllte meine Mission, und natürlich sagte ich nicht, von wem das Geld stammte. Die Einzige, die ungedeckt war, war also ich, mich konnte Mariana jederzeit auflaufen lassen. Aber was hatte das schon für eine Bedeutung, solange die anderen geschützt waren. Siehst du, wie relativ das Schuldgefühl ist. Apropos, als nach der Revolution alle ihre Plätze als verwegene Dissidenten-Unterstützer eingenommen hatten, jetzt, da wir nun angeblich frei sind, da hatten sie keinen Blick mehr für Mariana, die als Securitate-Opfer noch interessant gewesen war. Anna hatte nie erwähnt, wie weit die Beziehung zwischen Terry und Dimi gegangen war. Auch nicht den Hungerstreik, in den Dimi auf einer Matratze vor dem Schriftstellerverband getreten war. Oder sein Manifest für die Autonomie der Kunst, das noch ein paar andere Schriftsteller unterzeichnet hatten, anscheinend auch jener distinguierte Kritiker, über den besagter Schmutzfink so gespottet hatte, ach, jetzt habe ich schon wieder seinen Namen vergessen. Terry warf sich nie in den brodelnden Kessel, sie beteiligte sich erst dann, wenn sich alles beruhigt hatte: »Hör gut zu, wenn sie zu dir kommen und irgendeine Erklärung wollen, sag, was du willst, niemand hat dich in der Hand, aber gib ihnen nichts Schriftliches« – sie hatte etwas von einem Racheengel, hatte etwas Überlegenes in ihren violetten Augen, wie Liz Taylor, etwas Unheilverkündendes. Sie wusste viel, ohne Zweifel mehr als ich – sie fühlte sich wie ein Fisch im Wasser; nachdem die Holzkreuze auf dem

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