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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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was unsere Gäste aus Nazagur erzählt haben. Warum kommst du nicht einfach mit und siehst es dir selbst an? Dann kannst du zu deinem Volk zurückkehren und ihnen berichten.«
    Ein schüchternes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Könntest du noch einen Tag warten? Dann würde ich gerne mit dir nach Norden reisen. Wenn ich heute schon davonziehe, bricht Wurglucks Zorn über mich herein.« Er grinste. »Und wer weiß, ob ich das überleben würde.«
    Tahâma ließ sich wieder im Moos nieder. »Es wäre nicht Wurglucks Zorn, der dich töten würde.« Sie lächelte ihn an. »Einen Tag zu verlieren nehme ich gerne in Kauf, wenn ich dafür einen Begleiter auf meinem Weg gewinne.«
     
    Der Tag und die Nacht vergingen, und am anderen Morgen kamen Wurgluck und Ygawil, um noch einmal den Verband zu wechseln. Die Wunde hatte sich mit einer dicken Kruste überzogen, und es sah nicht so aus, als würde sie Céredas weiter Probleme bereiten, dennoch zog der Erdgnom ein ernstes Gesicht und tastete die Haut um die Wunde mit seinen spitzen Fingern ab. Dann befahl er seinem Patienten, sich ein wenig zu ihm herabzubeugen, damit er ihm in die Augen schauen konnte. »Nichts zu sehen, gar nichts zu sehen«, brummelte er und schüttelte den Kopf.
    »Die Wunde sieht doch gut aus«, mischte sich Tahâma ein. »Warum so missmutig, Wurgluck?«
    Er murmelte etwas von unsichtbaren Giften, die im Körper kreisen, und stapfte davon. Die beiden sahen sich fragend an.
    »Ach, nehmt ihn nicht so ernst«, beschwichtigte sie Ygawil und verknotete den Verband. »Er ist heute in keiner guten Stimmung. Ich jedenfalls wünsche euch eine gute Reise und dass ihr findet, wonach ihr sucht.« Sie deutete auf zwei Pakete, die die vier Gnome herbeigetragen hatten. »Ich habe euch noch ein paar Speisen zusammengeschnürt, damit ihr auf eurem Weg bei Kräften bleibt. – Vor allem mein Patient hier«, sagte sie, und ihre Wangen färbten sich schon wieder. Feierlich reichte sie erst Tahâma und dann Céredas die Hand. »Viel Glück!« Es schien Tahâma, als glänzten Tränen in den lichtgrünen Augen. Rasch wandte sich die Gnomin um und verschwand.
    Céredas erhob sich und reckte die Glieder. Vorsichtig belastete er das verbundene Bein, dann trat er hart auf und nickte zufrieden. »Wurgluck ist wirklich ein großer Heiler. Er hat nicht übertrieben«, sagte er, während er eines der Esspakete in seinem Bündel verstaute. »Wo ist er hin? Er weiß doch, dass wir früh aufbrechen wollen!«
    Tahâma rief seinen Namen, sie bog die Zweige des Mondbeerenbusches auseinander und spähte in das Erdloch zwischen den Pilzen, doch nichts regte sich. »Wir können nicht ohne Abschied und Dank einfach weiterziehen!«, sagte sie und sah sich ratlos um.
    Fast eine Stunde suchten sie den Erdgnom und riefen nach ihm. Dann gaben sie es auf. Offensichtlich wollte er sich nicht verabschieden. So schulterten die beiden ihre Bündel und machten sich gemeinsam auf den Weg nach Norden, wo das Land Nazagur liegen sollte.
     
    Hoch oben in einem mächtigen Silberblattbaum saß Wurgluck in einer verborgenen Höhle, eine vergilbte Pergamentrolle auf den Knien. Ein Gestell mit geschliffenen Kristallen auf der Nase, blickte er auf die blutroten Schriftzeichen hinab. Sein Zeigefinger wanderte langsam unter den Zeilen entlang. Er hörte Tahâma und Céredas nach ihm rufen, aber er reagierte nicht. Als er zu Ende gelesen hatte, sprang er auf, trat zu einer Truhe und zog ein verstaubtes Buch heraus. Die Seiten waren an den Rändern ausgefranst, die blaue Tinte verblichen. »Über Werwölfe« stand in verschlungenen Lettern auf der ersten Seite. Er begann darin zu lesen, doch nach einigen Abschnitten legte er das Buch zur Seite und zog ein anderes hervor, auf dessen Einband ein Pilz, eine Schlange und eine Spinne abgebildet waren. Aber bald schon warf er auch dieses Buch in die Truhe zurück, und seine Mundwinkel zogen sich missmutig nach unten. »Ich habe darüber gelesen«, grummelte er. »Ich weiß es genau.« Er drehte sich langsam um seine Achse und ließ den Blick über ein Regal mit Schriftrollen wandern, das sich entlang der runden Wände bis zur Decke der Baumhöhle zog. »Ich frage mich, ob ich meine Studien nicht fortführen soll«, sagte er und kaute an seinem Daumen.
    Endlich trat er an den Höhleneingang und spähte auf die Lichtung hinunter, die verlassen im Sonnenschein dalag. »Forschung bedeutet, zu Opfern bereit zu sein.« Er nahm die Kristallgläser von der Nase und verstaute

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