Die Seele der Nacht
Arbeit, dann richtete er sich wieder auf und klatschte in die Hände. Wie am Vortag kamen seine stummen Helfer und brachten die Medizin. Wurgluck schien die Vorstellung zu genießen. Während er Céredas von seinem Trank gab, kam auch Ygawil mit frischen Moosschwämmchen und einer neuen Binde herbei.
»Das sieht wirklich sehr gut aus«, lobte Tahâma. »Sicher werden deine Beschwerden in einigen Tagen verschwunden sein. So kann ich beruhigt meinen Weg fortsetzen und dich hier in der Obhut der guten Erdgnome lassen.«
»O ja, lass dich von mir nicht aufhalten«, sagte Céredas und hob die Hände. »Auch ich werde mein Bündel schnüren, sobald Wurgluck hier fertig ist. Mein Auftrag duldet keinen Aufschub.«
»Bündel schnüren? Keinen Aufschub?«, kreischte Wurgluck und funkelte den jungen Mann böse an. »Du wirst heute nirgendwo hingehen, Bürschchen, das sage ich dir! Glaubst du, ich verschwende meine Heilkünste an einen Dummkopf, der sich seine Wunde wieder aufreißt und dann jämmerlich verendet? Bis morgen rührst du dich nicht von der Stelle, sonst wirst du erleben, was es bedeutet, sich mit einem wütenden Gnom anzulegen!« Sein zerfurchtes Gesicht schimmerte nun in Violett, die dunkelgrünen Augen wölbten sich vor.
»Wenn es unbedingt sein muss«, murrte Céredas und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich habe es wirklich eilig!«
»Ach ja? Was kann es denn für einen Jäger aus den schwarzen Felsen Wichtiges geben, das nicht noch einen Tag warten kann?«, schimpfte Wurgluck.
»Eigentlich geht es dich nichts an«, begann Céredas. Als er jedoch sah, dass der Gnom schon wieder violett anlief, sprach er rasch weiter. »Aber hier bin ich ja unter Freunden und kann von meinem Auftrag erzählen.« Er machte eine kleine Pause, reckte sich ein wenig und holte tief Luft. »Ich bin auf dem Weg zur Kindlichen Kaiserin«, verkündete er und sah von Wurgluck zu Tahâma.
Doch statt ihn mit großen Augen anzustaunen, knurrte der Erdgnom: »Noch so einer!«, und Tahâma sagte: »Du bist spät dran.«
Céredas schnappte nach Luft. »Aber, aber«, stotterte er, »woher wisst ihr?«
»Es ist das Nichts, oder?«, fragte Tahâma. »Es ist dabei, auch die schwarzen Felsen zu zerstören.«
Der junge Mann nickte stumm. Nun berichtete sie von der Mission ihres Vaters und von dem, was er ihr nach seiner Rückkehr erzählt hatte.
»Du siehst, deine Reise hat ihren Sinn verloren. Die Kindliche Kaiserin ist sehr krank. Sie wird dich nicht empfangen. Und doch können wir Hoffnung haben, denn Atreju trägt den Glanz. Vielleicht gelingt es ihm, Phantásien zu retten.«
Céredas schwieg. »Aber was soll ich denn jetzt tun?«, fragte er dann.
»Erst einmal in Ruhe dein Bein heilen lassen«, verkündete Wurgluck und wandte sich zum Gehen. »Nun kommt es ja nicht mehr darauf an, ob du einen Tag mehr oder weniger auf unserer Lichtung zubringst.«
Schweigend sah Céredas ihm nach.
»Es ist schon spät«, sagte Tahâma nach einer Weile und erhob sich. »Ich werde meinen Weg nun fortsetzen. Meine guten Wünsche begleiten dich, Céredas.« Sie legte die rechte Hand an ihre Brust und verneigte sich.
»Halt, nein.« Seine Wangen röteten sich. »Wo gehst du hin?«
»Das Nichts ist uns schon sehr nahe gekommen«, sagte Tahâma leise. »Wir können nicht auf Rettung warten. Deshalb ist mein Volk nach Nazagur gezogen.«
»Nazagur?«
»Das ist ein Land weiter im Norden. Ein herrlich grünes Land voller Wiesen und Wälder, Seen und Flüsse, doch das wundervollste daran ist, es schrumpft nicht! Nein, im Gegenteil, es wächst sogar, und es wartet nur darauf, von den verschiedenen Völkern in Besitz genommen und bewohnt zu werden.« Begeisterung ergriff sie. Die warnenden Worte des Vaters hatte sie aus ihren Gedanken verbannt. Es musste viele Dutzend Jahre her sein, dass der Vater durch jene Gegend gereist war. Wenn es damals einen grausamen Herrscher in Nazagur gegeben hatte, so war er sicher längst nur noch Legende. Sonst hätten die Reisenden ihn doch sicherlich erwähnt. »Und nun wandere ich zu meinem Volk«, fügte sie hinzu, »das sich dort sicher schon in einem neuen Dorf niedergelassen hat.«
Céredas stemmte sich hoch. »Und du sagst, das Land wird immer größer? Gibt es dort auch Berge und Felsen, graue Bären und Riesenfelsböcke? Dann könnten unsere Jäger ebenfalls nach Norden ziehen und sich eine neue Heimat suchen!«
Tahâma zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Ich weiß es nicht. Ich kann dir nur berichten,
Weitere Kostenlose Bücher