Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
Vom Netzwerk:
eine Frechheit! Was glaubt ihr, was ich bin? Ein Vogel, der dort einfach hinauffliegen kann, oder eine Eidechse, die senkrecht die Wände hochkriecht?«
    Er wollte sich überhaupt nicht beruhigen, und Tahâma schien es, als stiegen Rauchkringel aus seinen spitzen Ohren auf. Ein paarmal versuchte sie zu Wort zu kommen, aber der Erdgnom war noch nicht fertig. Endlich ging ihm die Luft aus, und er blieb schwer atmend vor Tahâma und Céredas stehen.
    »Was machst du hier, Wurgluck?«, fragte das Mädchen und schüttelte ungläubig den Kopf.
    Der Gnom rückte seinen Kittel zurecht und reckte die Nasenspitze. »Ich kann meinen Patienten nicht ohne einen Heiler an seiner Seite durch die Wildnis schicken«, sagte er würdevoll.
    »Was?«, rief Céredas. »Mein Bein ist völlig geheilt. Da, sieh es dir an.« Er streckte dem Erdgnom seine Wade entgegen, die inzwischen nicht einmal mehr einen Verband trug.
    Wurgluck würdigte ihn keines Blickes. »Eine Wunde kann einem immer böse Überraschungen bereiten.«
    »Glaubst du wirklich?«, fragte Tahâma.
    »Allerdings, und außerdem dachte ich, es kann nicht schaden, wenn ich mir das sagenhafte Nazagur auch einmal ansehe. Ich musste dringend wieder einmal auf Wanderschaft gehen! Könnt ihr euch vorstellen, wie es ist, mit fünf schwatzhaften Töchtern und vier dämlichen Schwiegersöhnen in einer Höhle zu leben? – Nun, gut, ich will nicht ungerecht sein, Ygawil ist ein Goldschatz und hat ganz schön Grips in ihrem kleinen Schädel. Vielleicht hat sie mir deshalb noch keinen dümmlich dreinschauenden Schwiegersohn Nummer fünf angeschleppt«, fügte er hinzu und rollte mit den Augen.
    Tahâma musste sich ein Lachen verkneifen. »Das sind natürlich alles gute Gründe, aber warum bist du nicht gleich mit uns mitgegangen, statt uns heimlich zu folgen?«
    Die Frage war Wurgluck offensichtlich unangenehm. »Das war nur zu unserer aller Sicherheit. Es hätte ja sein können, dass ihr in einen Hinterhalt geratet, und dann wärt ihr froh gewesen, einen Retter auf euren Spuren zu haben.« Damit war das Thema für ihn erledigt. Er trat einen Schritt vor und deutete auf die Felsen. »Und wie soll es nun weitergehen?«
    »Wir klettern jetzt da hinauf«, erwiderte Céredas. »Die Felsen sehen schlimmer aus, als sie sind. Du kannst dich in mein Bündel setzen, dann trage ich dich hoch.«
    Das jedoch schien nicht nach dem Geschmack des Erdgnoms zu sein. Er schimpfte aufs Neue und fuchtelte mit den Armen.
    Céredas jedoch blieb unbeeindruckt. »Du hast zwei Möglichkeiten«, sagte er und nahm sein Bündel vom Rücken. »Entweder du steigst hier hinein und kommst mit uns, oder du kehrst um und suchst dir einen anderen Weg nach Nazagur. Vielleicht triffst du ja in einigen Tagen wieder auf unsere Spuren.«
    Tahâma wollte sich einmischen, denn seine Worte erschienen ihr zu harsch, nachdem er Wurgluck sein Leben verdankte, aber Céredas ließ sich nicht unterbrechen.
    »Nun, Wurgluck, wie entscheidest du dich?«
    Die Arme vor der Brust verschränkt, kam der Erdgnom näher und kletterte dann aufreizend langsam in das Bündel. Er murmelte etwas von »unter seiner Würde« und »Undankbarkeit« und drehte den Kopf in die andere Richtung.
    »Na also«, sagte Céredas, schwang das Bündel über die Schulter, hängte Köcher und Bogen dazu und erklomm dann flink das erste Felsband.
    Zweifelnd sah ihm Tahâma zu. Sie verstaute ihren Umhang und den Stab in ihrem Bündel und folgte ihm zögernd, aber es war nicht so schwer, wie sie befürchtet hatte. Ihre Hände und Füße fanden in den Spalten und Vorsprüngen sicheren Halt.
    Nur nicht nach unten sehen, dachte sie, als sie innehielt, um sich zu vergewissern, welche Route Céredas wählte. Wie sicher und behände er kletterte! Nun erreichte er ein breites Felsband, dreißig Schritte über ihr. Er hielt inne und sah zu ihr herunter.
    »Wenn du ein Stück nach links querst, dann kannst du dich in der Spalte dort drüben festhalten«, rief er und deutete auf einen breiten Riss, der sich bis zur obersten Kante hinaufwand.
    Tahâma schob sich auf dem schmalen Band einige Schritte nach links und kletterte dann an der Spalte entlang langsam höher. Sie griff nach einer Felsnase unterhalb einer saftiggrünen Schlingpflanze, deren Blätter seltsam vibrierten. Bewegte sich der gedrehte Pflanzenstrang? Tahâma erstarrte. Ein faustgroßer Kopf mit gelben Augen und geschlitzten schwarzen Pupillen löste sich aus dem Blättergrün und kam auf sie zu. Die gespaltene

Weitere Kostenlose Bücher