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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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Céredas übrig gelassen hatte. Sie hatten die letzten Krümel noch nicht heruntergeschluckt, als die vier Gnome noch einmal auftauchten und einen Kessel voll Suppe brachten. Mit einer stummen Verbeugung überreichten sie jedem eine Trinkschale und verschwanden dann wieder in ihrem Baum.
    Céredas trank zwei Schalen Suppe. Dann gähnte er herzhaft, seine Augen verdunkelten sich. Schon halb vom Schlaf überwältigt, sank er zurück und schlief abermals ein. Im Schneidersitz saß Tahâma neben ihm und sang leise vor sich hin, während die beiden Monde über die Lichtung wanderten und dann hinter den Baumwipfeln verschwanden.
    Plötzlich stand Wurgluck neben ihr. »Warum schläfst du nicht, Kind?«, fragte er streng.
    Tahâma lächelte das Männchen an, das ihr, obwohl sie saß, nur bis zur Schulter reichte. »Ich bin kein Kind mehr, Wurgluck, und ich wache über Céredas’ Schlaf, damit ihm in dieser Nacht nichts zustößt.«
    »Pah«, erwiderte der Gnom, »kein Kind mehr? Wie viele Sommer hast du schon gesehen? Für mich bist du noch ein Wickelkind!«
    Tahâma sah ein, dass es sinnlos wäre, mit ihm zu streiten, daher sagte sie nichts.
    »Du willst ihn beschützen? Wovor denn?«, fuhr der Erdgnom fort.
    »Vor den Gefahren der Nacht«, antwortete Tahâma. »Es könnte doch sein, dass der Werwolf zurückkehrt.«
    »Ha, und du beschützt ihn dann vor dem alten Gmork?«, spottete der Gnom und lachte schnarrend. »Wie willst du das anstellen? Willst du ihn mit deinem Charme bestechen oder ihm dein Bündel auf die Nase schlagen?«
    Tahâma zog ihren Stab mit dem schimmernden Kristall hervor und reichte ihn dem Gnom. Für Wurgluck hatte er die Größe eines soliden Wanderstabes. Aufmerksam betrachtete er den Stein an der Spitze, dann gab er ihn dem Blauschopfmädchen zurück.
    »Wirklich ein schönes Spielzeug, mein Kind, doch um gegen Gmork anzutreten, müsstest du dir etwas anderes ausdenken. Daher schlage ich vor, du schläfst jetzt und vertraust mir, wenn ich dir versichere, dass euch auf dieser Lichtung heute Nacht nichts geschehen wird.« Er tätschelte ihr Knie und verschwand dann gemessenen Schrittes im Blattwerk.
    Tahâma sah ihm nach. Konnte sie ihm vertrauen? Céredas war nichts anderes übrig geblieben, als sein Leben in die Hände dieses seltsamen Wesens zu legen, und bisher schien es, als wisse der Erdgnom, was er tat. So wickelte auch sie sich in ihren Umhang, der sie nahezu unsichtbar machte, und legte sich neben Céredas ins Moos – allerdings so weit entfernt, dass sie nicht aus Versehen im Schlaf gegen ihn stieß. Kaum hatte sie die Augen geschlossen, da glitt sie auch schon in die Traumwelten hinüber.
     
    Ein süßer Duft riss Tahâma aus ihren Träumen. Sie öffnete die Augen und sah sich um. Es war bereits heller Tag, und der wohlriechende Dampf stieg aus einem Topf auf, den Ygawil neben ihr abgestellt hatte.
    »Honigsuppe!«, erklärte die Gnomin und schöpfte Tahâmas Schale voll. Céredas hatte seine schon geleert und streckte sie Ygawil entgegen, damit die sie noch einmal füllte.
    »Gut geschlafen?«, fragte Céredas in spöttischem Ton und löffelte die Honigsuppe in sich hinein.
    Tahâma rappelte sich auf und strich sich ihre Tunika glatt, die im Morgenlicht die Farbe von zartem Flieder angenommen hatte. »Wurgluck sagte, wir seien hier auf der Lichtung sicher«, verteidigte sie sich. »Sonst hätte ich die ganze Nacht über gewacht!« Sie schob sich einen Löffel Suppe in den Mund. Es schmeckte herrlich. Nicht nur nach dem süßen Honig, auch würzig und dann wieder leicht scharf. »Wie geht es deinem Bein?«, fragte sie. »Wurglucks Medizin scheint dir bekommen zu sein.« Ihr Blick huschte über sein Antlitz, das heute Morgen wieder von kräftigem Ocker war. Die Blässe und die dunklen Ringe unter den Augen waren verschwunden.
    »Natürlich ist ihm Wurglucks Medizin bekommen!«, erklang die Stimme des Erdgnoms. »Hast du daran etwa gezweifelt?« Er trat heran und bohrte ihr seinen spitzen Zeigefinger in die Rippen. Dann begann er flink den Verband abzuwickeln.
    »Nein, natürlich nicht«, beschwichtigte sie ihn, »aber ist es nicht fast ein Wunder, wie schnell er sich erholt?« Sie deutete auf den tiefen Biss, dessen Ränder seine schwärzliche Färbung verloren hatten. Auch von Eiter war nichts mehr zu sehen, und an manchen Stellen schien sich bereits frische, rosige Haut zu bilden.
    »Staunen ist erlaubt«, sagte der Gnom. Die Nasenspitze fast in der Wunde versenkt, inspizierte er seine

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