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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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und roten Kohlköpfen standen neun Männer und fünf Frauen. Sie waren von gedrungenem Körperbau und fast einen Kopf kleiner als Céredas. Ihr Haar war von stumpfem Braun, die Gesichter breit, mit hervorstehenden Wangenknochen. Die Männer trugen dichte Barte, die Frauen hatten ihr langes Haar zu Knoten gewunden und unter den leinenen Kopftüchern festgesteckt. Die Farbe der Augen reichte von Braun bis zu hellem Grau. Gekleidet waren die Männer in knielange Hosen und kaum kürzere Kittel von unscheinbarer Farbe; die Füße steckten in derben Schuhen. Die Kleider der Frauen waren aus dem gleichen groben Stoff, nur dass sie ihnen unförmig bis zu den Knöcheln fielen.
    Tahâma legte die rechte Hand an die Brust, verbeugte sich und senkte den Blick. »Tahâma da Senetas vom Volk der Tashan Gonar«, stellte sie sich vor. »Wir grüßen Euch und wünschen Frieden und eine gute Ernte.«
    Nun verbeugte sich auch der Jäger. »Céredas kin Lahim aus dem schwarzen Felsengebirge. Möge Euch der Gott der Jagd immer gewogen sein und Euren Schritt des Abends zu den heimischen Feuern zurückführen.«
    »Wurgluck ist mein Name«, stellte sich der Erdgnom vor. »Ich bin der berühmte Heiler aus dem Silberwald.«
    Die Männer und Frauen warfen sich nervöse Blicke zu, dann trat ein kräftiger Kerl mit muskulösen Armen und einem Dickicht von Bart einen Schritt nach vorn. »Krin Torolow«, sagte er mit tiefer, dröhnender Stimme und neigte das Haupt. »Wir kommen aus Naza-kenin.« Er streckte den Arm aus und deutete auf die Felder und Wiesen am westlichen Flussufer. »Das sind die Ländereien der Mühlenvorstadt, die wir gemeinsam bewirtschaften.« Er sah zur Sonne empor und fixierte dann wieder die drei Fremden. »Wir sind an Wesen aus anderen Ländern nicht gewöhnt. Sie kommen nur selten in unsere Stadt.« Seine Stimme klang freundlich. »Doch es ist Mittag, und die Sonne brennt vom Himmel. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr unser Mahl mit uns teilen und uns von den fernen Landen berichten, aus denen Ihr kommt.«
    Die drei dankten für die Einladung und folgten Krin und den anderen zu einem zweirädrigen Karren, neben dem ein alter Esel graste. Es gab einen herben Trunk aus bauchigen Kürbisflaschen, graues Brot und Zwiebeln, grobe Wurst und säuerlichen Käse. Céredas und Wurgluck griffen herzhaft zu, und da Tahâma nicht unhöflich sein wollte, aß auch sie ein wenig von den ungewohnten Speisen. Zu Hause war alles leicht und fein gewesen, das Brot von luftiger Süße, Kuchen und Backwerk mit Früchten und Nüssen, Mus und Kompott nach herrlichem Gewürz duftend. Heimweh überfiel sie, nach dem Dorf und ihren Freunden, nach den Abenden voll Gesang und Geschichten, nach dem Klang des Windes in den kunstvollen Instrumenten. Céredas’ Worte, die von großen Jagden in den Schluchten des Felsengebirges berichteten, verschwammen zu einem Rauschen. Ihre Gedanken waren so weit fort, dass sie erst in ihre Gegenwart zurückkehrte, als Wurgluck sie in die Seite stieß:
    »Nur zu, die Leute wollen auch etwas über dein Volk erfahren.«
    Tahâma sah in die Runde. Die Männer und Frauen hatten alles aufgegessen und die Flaschen geleert, aber sie machten keine Anstalten, sich wieder ihrer Arbeit zuzuwenden, sondern sahen sie alle erwartungsvoll an.
    »Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll«, sagte Tahâma und lachte unsicher. Sie löste den Blick von den ihr zugewandten Gesichtern und ließ ihn den Fluss entlangwandern, bis dieser um eine Biegung verschwand. Dann öffneten sich ihre Lippen wieder. Erst perlten nur sanfte Töne hervor, doch dann folgten ihnen Worte, die sich zu Geschichten formten. Keiner rührte sich. Ihr Lied hüllte sie ein und nahm die Zuhörer gefangen. Auch als sie geendet hatte, saßen alle noch eine Weile stumm da, ohne ihre Blicke von dem Mädchen mit dem blauen Haarschopf zu wenden.
    Krin regte sich als Erster. »Wir haben deine Worte gehört und deiner lieblichen Stimme gelauscht, verstanden jedoch, denke ich, haben wir sie nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Wir sind nur einfache Bauersleute und verstehen nichts von den hohen Künsten der Musik und der Schönheit.« Er klang ein wenig traurig. »Wir streben danach, unsere Kinder satt zu bekommen und die Finsternis der Nächte zu überstehen, weiter reicht unser Denken nicht.«
    Wurgluck reckte sich und sah Krin aufmerksam an. »Die Finsternis der Nächte? Erzähle uns darüber! Wir haben auf unserer Reise durch euer Land Tote gefunden und seltsame nächtliche Wesen

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