Die Seele der Nacht
Krüge. »Ich muss gehen«, murmelte der Junge und stürzte davon, der dritte Mann folgte ihm.
Nur der Alte war sitzen geblieben und sah den Erdgnom nun ernst an. »Du bist fremd hier, also kann ich dir keinen Vorwurf machen. Aber ich warne dich, wenn du weiter so unvorsichtig daherredest, wirst du dir in diesem Land keine Freunde machen.«
»Pah«, machte der Erdgnom. »Ich habe nur eine höfliche Frage gestellt und bitte um eine Antwort.«
»Nun gut.« Der Alte hob die Hände. »Komm her und senke deine Stimme.« Er griff nach den dürren Armen des Gnoms und zog ihn neben sich auf die Bank. Dann neigte er sich ihm zu und raunte: »Sein Name ist Krol von Tarî-Grôth. Er selbst nennt sich der Schattenlord.«
»Ja, und?« Wurgluck sah ihn erwartungsvoll an.
»Genug davon«, wehrte der alte Nazagur ab. »Man soll den Schrecken nicht leichtsinnig beschwören. Ich bin alt, aber nicht schwachsinnig, daher verlasse ich dich nun, kleiner Wanderer, aber ich rate dir, bleibe heute Nacht in diesen Mauern, wenn du den Morgen noch erleben willst. Hier im Gasthaus wirst du sicher ein Lager bekommen.« Er erhob sich, warf eine Münze auf den Tisch und humpelte davon.
»Der Schattenlord«, wiederholte Wurgluck und rieb sich die Nase.
Wie der Alte ihnen geraten hatte, mieteten die drei für die Nacht eine Kammer unter dem Dach. Sie fanden auch einen Stall, in dem sie die Pferde unterstellen konnten. In der Dämmerung wanderten sie noch einmal durch die Gassen.
»Was hat der Alte zu dir gesagt?«, fragte Céredas den Erdgnom.
»Er sprach von einem Mann namens Krol von Tarî-Grôth, der sich selbst der Schattenlord nennen soll. Aber was der mit den Wesen zu tun hat, die sich hier nachts herumtreiben, und mit den Toten, die im Sonnenlicht plötzlich verschwinden, wollte er mir leider nicht verraten. Die Leute scheinen panische Angst vor diesem Schattenlord zu haben. Vielleicht drängen sie sich deshalb hier hinter den schützenden Mauern zusammen.«
»Das ist möglich. Darum waren auch die Höfe auf unserem Weg alle verlassen«, überlegte der Jäger.
Der Gnom nickte. »Ja, vermutlich sind viele hierhergezogen – wenn sie nicht tot sind, vom Wind verweht und vergessen.«
»Mein Vater wusste etwas über diesen Lord«, sagte Tahâma. Plötzlich waren ihr die letzten Worte des Sterbenden wieder in den Sinn gekommen.
»Was?«, rief Wurgluck und blieb stehen. »Und das sagst du uns erst jetzt?«
»Mein Vater war vor sehr langer Zeit einmal hier in Nazagur. Ich dachte, der Graf, von dem er sprach, sei längst vergessen.«
»Was genau hat er dir berichtet? Erzähle!«, forderte sie der Gnom auf.
»Lass mich nachdenken. Er nannte ihn den Schrecken, den dunklen Lord. Er sagte, unser Volk werde hier in Nazagur in tödliche Gefahr geraten, und ich musste Vater auf seinem Totenbett versprechen, dass ich keinen Fuß in dieses Land setzen würde.« Sie seufzte tief. »Aber wie konnte ich ihm gehorchen? Sollte ich allein in unserem Dorf zurückbleiben und auf das Nichts warten? – Wenn mich nicht vorher die Gnolle oder die Mordolocs zerfetzt hätten.«
Der Erdgnom stieß einen leisen Pfiff aus. »Also hat der Schattenlord -wer auch immer er sein mag - schon damals sein Unwesen in Nazagur getrieben. Warum hast du uns nur nichts davon erzählt?«
»Vater lag im Sterben!«, verteidigte sich Tahâma. »Ich dachte, es wäre nur das Gift in seinem Körper, das ihn in solchen Schrecken versetzte und ihm böse Erinnerungen vorgaukelte. Wie konnte ich ahnen, was hier vor sich geht?«
»Hat er sonst noch irgendetwas gesagt?«, mischte sich Céredas ein.
»Ja«, sagte das Mädchen und überlegte wieder. »Er erwähnte meinen Großvater. Aber weiter kam er nicht mit seinem Bericht, denn dann griff der Tod nach ihm, und er bat mich, sein Totenlied zu singen.« Die Erinnerung trieb ihr Tränen in die Augen. Hastig wischte sie sie mit dem Ärmel ab.
»Was hat dein Großvater mit der Sache zu tun?«, wollte Wurgluck wissen.
Tahâma zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich nicht. Er nannte nur seinen Namen und brach dann ab. Ich weiß gar nichts über Großvater. Ich habe ihn nie kennen gelernt. Lange Zeit dachte ich, er sei früh gestorben, aber einmal hörte ich, wie Granho und Thurugea über ihn sprachen. Nie vorher habe es einen Blauschopf gegeben, der Großvaters Begabungen in sich vereinte, sagten sie, und dass sie seit vielen Jahren nichts mehr von ihm gehört hätten. Ich fragte den Vater des Rhythmus nach ihm, aber er antwortete
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