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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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getan?«
    Tahâma sah ihn überrascht an.
    »Du weißt nicht, was in jener Nacht vorgefallen ist! Warum also hast du dein Leben für mich riskiert?«
    »Aber – aber du bist mein Freund«, stotterte sie. »Sind Freunde nicht füreinander da?«
    »Dann hast du mich gerettet, weil du dich mir verpflichtet fühltest? Nicht, weil du an meine Unschuld glaubtest?«
    »Ist der Grund denn so wichtig?«
    Er umklammerte hart ihre Arme. »Ja, das ist er, darum sage mir: warum?«
    Sie sah in seine Augen, die sie in eine gefährliche Tiefe zu ziehen drohten. Was lauerte dort in der Dunkelheit? Was würde mit ihr geschehen, wenn sie sich dort hineinfallen lassen würde? »Du hast Recht, ich weiß nicht, was in Krizha zwischen dir und meinem Großvater geschehen ist, aber mein Herz hat mir keine Wahl gelassen. Du bist für mich mehr als ein Freund, und ich weiß nicht, was mir noch in diesem Leben bleibt, wenn deines verwirkt ist.«
    Seine Hände drückten ihre zarten Arme, dass es schmerzte. Sie gab keinen Laut von sich. »Du weißt nicht, was du sagst«, antwortete er abweisend. »Kein Leben hängt von einem anderen ab. Du bist frei!« Er ließ sie los.
    Tahâma senkte den Blick auf ihre Arme, wo seine Hände rote Abdrücke hinterlassen hatten. »Frei, ja, es sind keine Fesseln zu sehen.« Sie drehte sich um und ging langsam zur Hütte zurück. »Aber nicht alles, was bindet, ist auch eine Fessel«, murmelte sie.
    Céredas sah ihr nach. Es drängte ihn aufzuspringen, sie fest zu umschlingen und an sich zu drücken. Dennoch blieb er sitzen. Er versuchte sich einzureden, dass er ihre Worte missverstanden habe. Aus Pflichtgefühl hatte sie ihn gerettet – hatte sie versucht, ihn zu retten. Nein, er durfte sich ihr nicht nähern!
    Er sah nach Osten. Sobald der Morgen dämmerte, würden sie weiterziehen und hoffentlich bald auf die Blauschöpfe stoßen. Dann konnte er Tahâma beruhigt in der Obhut ihres Volkes lassen. Und er selbst? Er würde Abschied nehmen und eilig davonziehen, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen. Céredas seufzte. Seine Zukunft war hinter einer düsteren Wolke verborgen.
    Als die Sonne aufging und er das Klappern von Tellern und Bechern aus der Hütte vernahm, ging er hinein. Die Tischrunde war ungewöhnlich schweigsam. Wurgluck sah abwechselnd von Tahâma zu Céredas, sagte aber nichts.
    »Was habt ihr nun vor?«, brach Aylana schließlich die Stille.
    »Wir reiten nach Gwonlâ«, antwortete Tahâma. Céredas und Wurgluck sahen sie fragend an. »Die Wächter vor meiner Tür sprachen von diesem Ort. Das Dorf sei lange Zeit verlassen gewesen, nun jedoch würden dort die Blauschöpfe leben, die vor einigen Monaten durch Krizha zogen.«
    Aylana nickte. »Kennst du den Weg?«
    »Ich hoffte, du könntest ihn uns sagen.«
    Aylana überlegte. »Ich vermute, dass es weiter im Norden liegt, aber ich weiß nicht genau, wo. Ich bin mir sicher, nie durch einen Ort solchen Namens gereist zu sein.«
    »Ich war mir so sicher, dass die Suche nun bald ein Ende hätte«, sagte Tahâma enttäuscht.
    Einen Augenblick lang schien auch Aylana ratlos. »Ich könnte euch zu einem Freund begleiten, der einen halben Tagesritt nördlich wohnt«, schlug sie dann vor. »Im Gegensatz zu mir ist er weit gereist. Seiner Wissbegierde entgeht nichts!« Sie lächelte in sich hinein. »Er ist – nun sagen wir – ein seltsamer Kauz, aber ich denke, er kann euch helfen.«
    Bald waren die Bündel geschnürt und die Pferde hinausgeführt. Gegen Mittag ritten sie den Hügel hinunter nach Norden, wo sie wieder auf den Bach stießen. Dieses Mal wandte sich Glyowind nach Osten, und sie ritten einige Zeit, bis die Uferwände so weit abflachten, dass sie in einer Furt das nun zu einem Fluss angeschwollene Wasser durchqueren konnten. Sie kamen durch ein lichtes Wäldchen, ritten über einen Hügel und trafen kurz vor Sonnenuntergang auf eine Straße, die von Südosten her kam und weiter nach Norden führte. Eine Stunde lang folgten die Freunde dem erdigen Weg.
    Gerade als der Tag ins Zwielicht wechselte, erreichten sie eine Ansammlung rundlich geschliffener Felsen. Die Silberstute hielt direkt auf sie zu. Sie wieherte leise und blieb dann stehen. »Wir sind da!«, rief Aylana.
    Als die Freunde abstiegen, sahen sie, dass die Felsen einen exakten Kreis bildeten. Die glatten Steinflächen waren mit Zeichnungen versehen. Am Fuß der Felsen verliefen Linien im Gras, die mit rotem Sand bestreut waren. Wie die Speichen eines Wagenrads strebten sie auf die

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