Die Seele der Nacht
Mitte zu, in der sich statt der Radnabe eine runde Hütte erhob. Eine unsichtbare Tür öffnete sich in der Wand, und eine Gestalt trat heraus, seltsamer anzusehen als alle Wesen, die Tahâma jemals über den Weg gelaufen waren.
Das Gesicht des Geschöpfs war spitz und von grünlichen Schuppen bedeckt, die Augen schimmerten in hellem Gelb.
Immer wieder zogen sich die Pupillen zu schwarzen Schlitzen zusammen. Sein Haupt war von wenigen struppigen Haaren bedeckt, und auch vom Kinn hingen einige graue Fransen. Es war etwa so groß wie Tahâma, aber sein dünner Körper, der von einer unförmigen Kutte verhüllt wurde, schien ungewöhnlich biegsam. Statt Händen ragten vier Klauen aus den weiten Ärmeln. Auch unter dem Saum entdeckte das Mädchen eine Anzahl langer, scharfer Krallen, und als das Wesen sich umdrehte, um sie hereinzubitten, bemerkte sie den spitz zulaufenden, grün schuppigen Schwanz, der hinter ihm auf dem Boden schleifte.
»Liebe Freunde, kommt herein in meine bescheidene Hütte, legt euch ans Feuer, esst und ruht aus von des Tages Last«, sagte das Wesen mit piepsiger Stimme.
Aylana verbeugte sich tief, ehe sie die Hütte betrat. »Meister Ýven, wir sind uns der Ehre bewusst, einen so berühmten Gelehrten mit unseren nichtigen Belangen stören zu dürfen.«
Er schien über ihre Rede erfreut, schürzte die blauen Lippen und ließ eine Reihe gefährlicher spitzer Zähne sehen. »Dame Aylana, Ihr sollt einer alten Echse nicht schmeicheln. Und doch muss ich Euch Recht geben. Eine große Entdeckung habe ich gemacht. Das Experiment liegt in den letzten Zügen, daher ist meine Zeit knapp.«
Aylana verbeugte sich noch einmal, dann schlüpfte sie zwischen den herabhängenden Decken hindurch, die den Blick ins Innere verwehrten. Neugierig folgten ihr die Freunde.
Die Hütte bestand aus einem runden Raum, in dessen Mitte ein Feuer prasselte. Es war stickig heiß. Der Schein der Flammen tanzte auf den Wänden, die aus einem weichen, fließenden und doch stabilen Material zu sein schienen. Am Boden lagen bunte Polster in einem großen Kreis um das Feuer, auf einem niedrigen Tisch standen Schalen, einige mit verschiedenfarbigen Flüssigkeiten gefüllt, andere mit einer Vielzahl von Insekten. Es gab braune Tausendfüßler, dicke Käfer mit grün glänzenden Panzern, Spinnen, aber auch rosafarbene Würmer und etwas mit vielen Beinen, das wie fleischige Blätter aussah. Schaudernd wandte sich Tahâma ab.
»Setzt euch, nehmt doch Platz«, sagte Meister Ýven und kratzte sich unterm Kinn. »Was wollte ich sagen?« Verwirrt ließ er den Blick schweifen, bis er an dem Tisch mit seinen Schalen hängen blieb. Seine Miene hellte sich auf. »Ah, darf ich den Gästen ein leckeres Menü anbieten?«
Tahâma wahrte nur mühsam die Fassung, und auch Ceredas zog die Augenbrauen hoch. Nur Wurgluck schien an der Speisenauswahl nichts auszusetzen zu haben. Erwartungsvoll ließ er sich auf einem rotbraunen Polster nieder.
Aylana schnüffelte und hob dann die Hände. »Verehrter Meister Ýven, wir wollen Eure Gastfreundschaft nicht ausnutzen und Euch Eurer Delikatessen berauben. In unseren Bündeln haben wir genug Proviant mitgebracht. Obwohl«, fügte sie mit einem Lächeln hinzu, da Wurglucks enttäuschtes Grummeln nicht zu überhören war, »unser Freund, der Erdgnom, würde die Einladung gern annehmen und mit Euch speisen.«
So saßen sie kurz darauf auf den farbigen Polstern um den Tisch herum und aßen zu Abend. Tahâma, Céredas und Aylana stärkten sich mit Brot, Nüssen und Früchten. Meister Ýven und Wurgluck langten kräftig in die Insektenschalen.
»Verehrter Erdgnom, das müsst Ihr probieren«, forderte ihn Ýven auf und eilte mehrmals davon, um Dosen und Schalen mit dicken Pasten oder glitschigen Gelees zu holen.
»Die Käfer sind in gelbes Gelee getaucht besonders köstlieh«, lobte Wurgluck und biss herzhaft zu, dass der Chitinpanzer unter seinen Zähnen knackte.
Tahâma sah angeekelt zur Seite, Céredas gelang es kaum, ein Kichern zu unterdrücken. Auch Aylana schien eher belustigt.
Plötzlich sprang Meister Ýven abermals auf. »Ich muss gehen. Es ist schon viel zu spät geworden. Verzeiht, edle Gäste, die Experimente müssen fortgesetzt werden.« Mit wehendem Gewand verließ er die Hütte.
»Woran arbeitet er?«, fragte Tahâma interessiert.
Aylana zuckte die Schultern. »An der Vermessung des Universums, der Astralebene und Phantásiens. 0b er dabei wirklich etwas entdeckt hat oder ob alles nur
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