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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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hob ihr Kinn mit seiner Klaue ein Stück an. Eine Welle aus Eis ließ sie erstarren.
    »Wen haben wir denn da? So schnell begegnen wir uns wieder. Vielleicht ist heute die Nacht, die deinem Leben eine Wendung geben wird. Warte hier auf mich. Ich muss noch etwas erledigen.« Er ließ die Hand sinken und wandte sich ab.
    Wurgluck stieß Tahâma in die Seite, aber das Mädchen beachtete ihn nicht. Sie starrte nur wie hypnotisiert auf den Schattenlord.
    Als hätte er alle Zeit der Welt, ließ der Lord seinen Blick schweifen. Voller Gier ruhten seine Augen eine Weile auf einem Mädchen, das sich zitternd in den Arm ihres Bruders presste. »Ihr versteht sicher, dass auch meine Sklaven ihren Anteil fordern«, sagte er und zerschlug die Barrikaden von der Tür, als wären sie aus Pergament statt aus schwerem Eichenholz.
    Die Tür schwang auf, und eine Horde zweibeiniger Wesen drängte herein, wie sie sonst nur Albträume beherbergen. Sie waren weder tot noch lebendig, wirkten verfallen und verwest und doch auch wie unfertig erschaffen. Ihre Leiber waren seltsam verdreht, die Gelenke nicht an den Stellen, an denen sie üblicherweise zu finden sind. Ihre Köpfe waren zum Teil mit faulendem Fleisch bedeckt, an anderen Stellen schimmerte das Weiß des Knochenschädels. Mit eckigen Bewegungen drängten sie herein, die Kiefer leicht geöffnet, die schwärzlichen Zahnstumpen entblößt.
    Da standen die Männer der Tashan Gonar mit ihren Hörnern und Kristallen. Einige wurden so von Grauen erfüllt, dass sie ihre Waffen fallen ließen und wimmernd zur Wand zurückwichen. Andere jedoch sangen und rieben ihre Steine, bis sie glühten. Für einige Augenblicke sah es so aus, als könnten die Männer den Angreifern etwas entgegensetzen. Der Lord lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Wand und betrachtete das Schauspiel, dann schien es ihm der Vorstellung genug. Er hob die Hand. Das genügte, um die Kräfte neu zu verteilen. Die Untoten schritten vor.
    Wurgluck trat Céredas gegen das Schienbein und zerrte an Tahâmas Tunika. »Nun steht hier nicht mit aufgerissenen Mündern da. Tut doch was!«, kreischte er.
    Endlich kehrten Leben und Kampfgeist in das Mädchen zurück. Eine laute Tonfolge singend, stürzte sie sich auf einen der Untoten, der einen kleinen Jungen gepackt hatte und ihn zur Tür zerrte. Wut und Verzweiflung schäumten in ihr über. Der Angreifer ließ sein Opfer los, presste die Hände an die Ohren und taumelte zurück. Céredas sprang zum Feuer hinüber, riss einen hell lodernden Ast heraus und schwang die Fackel im Kreis. Nun schien es dem Schattenlord an der Zeit, selbst einzugreifen. Er trat auf Granho zu, der stumm dastand, Krísodul in den zitternden Händen.
    »Benutzt den Stein!«, schrie Tahâma, die merkte, wie Kälte und Angst sie zu lähmen begannen.
    Granho hob die Hände. Er summte einen Rhythmus. Der Kristall flackerte nur trüb. Die Stimme des Alten wurde lauter, fast zornig schrie er auf den Kristall ein, aber Krísodul ließ sich nicht befehlen.
    »Damit wollt ihr mich aufhalten?«, sagte der Schattenlord und schlug dem Sohn des Rhythmus mit seiner Klauenhand auf den Arm.
    Mit einem Schmerzensschrei ließ Granho die wertvolle Waffe fallen. Sie rollte direkt vor Krol von Tarî-Grôths Füße.
    Zögernd bückte sich der Lord, doch als er Krísodul berühren wollte, gab der Stein ein zischendes Geräusch von sich. Die Knochenhand zuckte zurück. Langsam richtete er sich wieder auf, die roten Augen funkelten. Ein wirbelnder Wind fegte durch die Halle.
    »Genug gespielt«, rief er. »Es wird Zeit, dass ich mich stärke.«
    Die Gestalt des Lords schien ins Unendliche zu wachsen, sein Schatten hüllte die Tashan Gonar ein und erfüllte sie mit panischem Schrecken. Die letzten Verteidiger wichen zurück. Auch Tahâma wankte. Sofort drängten die Untoten wieder herein. Da sprang Céredas vor und stieß in rascher Folge zwei der mumienartigen Wesen seinen brennenden Holzscheit in die Brust. Sofort loderten Flammen an ihren trockenen Leibern empor. Ihre schrillen Schreie schmerzten in den Ohren.
    Die anderen Untoten wichen zurück, die beiden brennenden Leiber jedoch warfen sich gegen die Wände, fielen zu Boden und wälzten sich herum. Stühle und Tische polterten zu Boden. In ihrer Raserei stürzten sie in die Feuerstelle und sprangen wieder hoch, dass die brennenden Scheite nach allen Richtungen flogen. Plötzlich stand die Halle in Flammen. Gleich an mehreren Stellen fraß sich das Feuer ins trockene

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