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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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viele Jahrzehnte mit klugem Geist und offenem Herzen geführt hatte. Tahâma senkte den Kopf. Thurugea und Granho strichen über die Saiten ihrer Harfen. Dann begann Tahâma zu singen. Alle Augen waren auf sie gerichtet, bis ihr Lied mit dem glücklichen Wiedersehen im neuen Dorf der Blauschöpfe endete.
    Lange saßen die Blauschöpfe und die Gäste in der Halle beisammen. Tahâma stand immer wieder auf, um sich zu dem einen oder anderen Verwandten zu setzen oder Freunde zu umarmen. Nun wurde nicht mehr für die ganze Runde vorgetragen. Es bildeten sich kleine Gruppen oder Paare, die miteinander sprachen oder leise Musik machten. Auch die Mutter der Harmonie und der Sohn des Rhythmus mischten sich unter die anderen Dorfbewohner. Bald saßen der Erdgnom und der Jäger allein an der Stirnseite.
    Wurgluck beugte sich zu Céredas. »Wann wirst du uns verlassen?«
    Der Jäger zog die Augenbrauen hoch. »Du scheinst es kaum erwarten zu können.«
    Wurgluck seufzte. »Hast du mit ihr darüber gesprochen?«
    »Nein, noch nicht. Ich werde es schon tun. Lass das nur meine Sorge sein und kümmere dich um deine Angelegenheiten.«
    »Seit du auf meiner Lichtung aufgetaucht bist, habe ich dich zu meiner Angelegenheit erklärt«, sagte der Gnom. »Warte nicht zu lange.« Er hielt inne und hob den Kopf. »Es ist spät«, flüsterte er. »Spürst du, wie sie unruhig werden?«
    Der Jäger ließ den Blick unter seinen langen Wimpern schweifen. »Ja, die Angst wohnt in ihren Herzen. Sie haben den Schrecken bereits kennen gelernt. Was werden sie tun, um ihm heute Nacht zu begegnen?«
    Der Erdgnom grunzte. »Sieh sie dir an! Sie sind wie Lämmer auf der Weide, die die Wölfe erwarten. Sie werden sich nicht wehren!« Er schwang die Beine über die Bank und trippelte auf drei Männer zu, die nah bei ihnen saßen. »Verzeiht, dass ich mich erdreiste zu fragen, aber wie sehen eure Vorkehrungen gegen die Gefahren der nächtlichen Wesen von Nazagur aus?«, fragte er geradeheraus.
    Die drei sahen sich unsicher an. »Was meint Ihr damit, Herr Gnom?«, erkundigte sich schließlich einer von ihnen.
    »Nun«, antwortete Wurgluck, und Ungeduld schwang in seiner Stimme mit, »ich denke nicht, dass eure Leute, die ihr dort draußen begraben habt, allesamt an Alter und Schwäche verschieden sind!«
    Der Blauschopf öffnete den Mund, eine andere Stimme kam ihm aber zuvor. Granho war unbemerkt herangetreten. »Nein, es waren weder Schwäche noch Alter. Die grauen Wölfe der Wälder haben drei junge Männer geholt, als sie so unvorsichtig waren, sich nachts hinauszuwagen. Andere hatten versäumt, ihre Türen und Fenster richtig zu verschließen. Deshalb haben wir die Palisaden errichtet und ein Tor angebracht. Nun sind wir sicher.«
    Wurgluck stemmte die Hände in die Hüften und musterte den Mann unbestimmten Alters, der vor ihm stand. Sein Haar hatte die Farbe zarten Flieders, und seine Haut, die sich straff über die Wangenknochen zog, war von durchsichtiger Blässe. Die Augen jedoch leuchteten in kräftigem Blau.
    »Sicher?«, wiederholte er. »Glaubt ihr zumindest selbst daran? Eure Leute jedenfalls haben Angst. Ich kann es spüren. Trauen sie sich deshalb nicht in ihre Häuser, bevor der Schrecken der Mitternacht vorüber ist? Seht nur, selbst die kleinsten Kinder hat man in ihren Wiegen mit hierhergebracht.«
    »Wir sind hier sicher!«, wiederholte der Sohn des Rhythmus. »Mehr als eine Woche lang haben wir nicht einmal das Heulen eines Wolfes vernommen.«
    »Es gibt dort draußen in der Nacht Schlimmeres als Wölfe«, erwiderte der Gnom.
    Hastig zog ihn Granho zur Seite, damit ihn die anderen Blauschopfmänner nicht mehr hören konnten. »Das weiß ich auch! Ich bin nicht taub und blind durch dieses Land gezogen. Aber sagt mir, kleiner Mann, was sollen wir Eurer Meinung nach tun?«
    »Feuer!«, antwortete Céredas, der zu den beiden herangetreten war. »Zündet entlang des Zaunes so viele Feuer an wie nur möglich. Die dunklen Kreaturen scheuen die Flammen.«
    Granho maß den Jäger von oben bis unten. »Und wer soll jeden Tag das Holz aus den Wäldern herbeischaffen? Die Männer von Nazagur sind kräftig gebaut und für solche Arbeit geeignet. Aber seht uns an! Unsere Rücken sind schmal und unsere Hände weich. Wie lange könnten wir das durchstehen? Selbst den Palisadenzaun hätten wir nicht errichten können, wenn die früheren Bewohner nicht schon damit angefangen und das Holz hier gelagert hätten.« Um Verständnis heischend sah er die

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