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Die Seele der Nacht

Die Seele der Nacht

Titel: Die Seele der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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beiden Freunde an. »Es geht schon an unsere Grenzen, die Häuser zu reparieren oder neu aufzubauen und die Gärten anzulegen. Wir sind Künstler, keine Jäger oder Kämpfer und noch weniger Waldarbeiter!«
    Céredas nickte grimmig. »In diesem Land wird euch nichts anderes übrig bleiben, als zu Kämpfern zu werden, denn sonst werdet ihr untergehen. Hat euch niemand gesagt, was mit den Leuten passiert ist, die vor euch das Dorf bewohnt haben?«
    Granho zuckte zusammen.
    »Ihr wisst es also!«
    »Ja, in einigen Häusern fanden wir Leichen, die beim ersten Sonnenstrahl, der sie berührte, zu Staub zerfielen. Es geht das Gerücht um, schon der Anblick des Schattenlords flöße seinen Opfern tödliches Entsetzen ein. Nun versammeln wir uns jeden Abend bei Einbruch der Nacht in dieser Halle und singen, damit uns nichts geschieht. Wenn es bis nach Mitternacht ruhig bleibt, können wir uns ohne Sorge schlafen legen.«
    »Und wenn das grausige Heulen erschallt?«
    »Dann bleiben wir hier am Feuer beisammen und hoffen, dass der Schrecken an uns vorübergehen möge«, sagte Granho leise.
    »Euer Hoffen wird euch nichts nützen«, widersprach der Jäger.
    »Wir haben einige Kristalle und Hörner gegen die Wölfe. Ganz so hilflos, wie Ihr denkt, sind wir nicht!«, begehrte der Sohn des Rhythmus auf.
    »Und nun habt ihr auch Krísodul«, erklang Tahâmas Stimme. »Ich habe gesehen, was mein Großvater damit vermag. Wenn er dem Kristall solche Kräfte entlocken kann, was wird dann erst der Rat der Drei erreichen!« Ihr Gesicht strahlte vor Bewunderung. Sie schnürte ihr Bündel auf und zog den blauen Kristall hervor, den der Vater ihr gegeben hatte. Sie löste ihn von ihrem Stab und legte ihn in Granhos gepflegte Hände. »Wir werden Gwonlâ so sicher machen wie die Stadt Krizha, und unser Volk wird ohne Ängste hier in Frieden und Freiheit leben können.«
    »Hast du mit deinem Großvater gesprochen?«, fragte Granho.
    »Ja«, antwortete Tahâma knapp. Sie wollte ihm nicht berichten, wie sehr sie den Weisen erzürnt hatte. Sicher würde man sie mit Vorwürfen überschütten. Es war besser, das Thema zu wechseln, ehe Granho sie auffordern konnte, von ihrer Begegnung zu erzählen. Sie überlegte gerade, was sie sagen sollte, als ein eisiger Schauder sie erzittern ließ. »O ihr Vorväter«, hauchte sie entsetzt. »Er ist da!«
    Granho sah das Mädchen fragend an, aber Céredas und Wurgluck hatten es ebenfalls gespürt. Der Jäger zog seine Axt vom Gürtel.
    »Der Schattenlord kommt!«, rief sie, denn Granho schien noch immer nicht zu verstehen. Nun erscholl das Jaulen der Wölfe und riesenhaften Wargen. Tahâma war sich sicher, dass auch die untoten Reiter bei ihm waren.
    Beim ersten Heulen waren alle von ihren Sitzen aufgesprungen. Die Frauen rissen ihre Kinder aus den Wiegen oder zogen die Kleinen, die in einer Ecke mit Murmeln gespielt hatten, zum Feuer. Panische Angst zeichnete die Gesichter. Einige Männer nahmen schlanke Hörner von den Wänden, andere holten Stäbe mit kristallenen Spitzen hervor. Die Steine schimmerten oder sandten farbiges Licht aus, doch in keinem dieser Kristalle wohnte auch nur annähernd so viel Macht, wie Krísodul sie in sich vereinte. Ein paar Burschen verbarrikadierten die Tür und legten die dicken Läden, die im Innern angebracht worden waren, vor die Fenster.
    Tahâma griff nach Céredas’ Arm. »Er kommt!«, rief sie und stöhnte auf.
    Sie hörte einen Mann hinter sich murmeln: »Sie haben den Schrecken in unser Dorf geführt! Wehe ihnen! Wehe uns!«
    Tahâma wollte sich umdrehen und ihnen ins Gesicht schreien, dass der Schattenlord keine Führung brauche, um seine Opfer zu finden, aber sie konnte nicht einmal mehr ihre Lippen bewegen.
    »Der Nebel des Grauens«, hörte sie Wurgluck neben sich murmeln.
    Ja, da floss er in giftigem Grün träge unter der Türschwelle hindurch, wallte auf und begann sich zu drehen. Nach und nach löste er sich auf, und der Schattenlord stand in Gestalt eines riesigen Mannes in der Halle. Groß, hager, die Lippen zu einem grausamen Lächeln geöffnet. »Lange war ich nicht mehr hier«, sagte er, und seine Worte klirrten wie Eis, »aber heute bin ich gekommen, um zu sehen, ob meine Ghule mir recht berichtet haben. Nun, es freut mich sehr, dass die Mission endlich Früchte trägt und meine Diener, die ich ausgesandt habe, frisches Blut ins Land bringen, erfolgreich waren.«
    Sein Blick wanderte durch den Raum und blieb an Tahâma hängen. Er trat auf sie zu und

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