Die Seele des Feuers - 10
begegnete, vermutete Richard, dass es sich um die Handschrift Joseph Anders handelte. Eine solche Bewunderung würde zu Kolos Beschreibung dieses Mannes passen. Viele dieser wundersamen Unterweisungen waren möglicherweise das Werk eines Zauberers, wie Richard erkannte. Nach Anders Ableben glichen die Menschen Waisenkindern, die ohne den Beistand der Idole, die sie nach wie vor verehrten, die ihnen jedoch nicht mehr antworteten, verloren waren. Verwirrt und hilflos waren sie Kräften ausgeliefert, die sie nicht begriffen.
Richard lehnte sich zurück, räkelte sich und gähnte. Die alten Bücher erfüllten die Bibliothek mit einem muffigen Geruch; dieser war, ähnlich wie lange verborgene Geheimnisse, recht interessant, insgesamt jedoch nicht unbedingt angenehm. Nach einer Weile begann er sich nach der frischen, sonnendurchströmten Luft jenseits der Fenster ebenso zu sehnen wie nach einer Auflösung des lange verborgenen Rätsels.
Ganz in der Nähe hatte Du Chaillu es sich bequem gemacht, liebevoll mit der Hand ihr ungeborenes Baby streichelnd, während sie ein Buch mit verschlungenen Verzierungen auf vielen Seiten betrachtete. Dort gab es Zeichnungen kleiner Tiere: Frettchen, Wiesel, Wühlmäuse, Füchse und Ähnliches. Sie konnte nicht lesen, aber das Buch mit seinen Zeichnungen brachte sie immer wieder zum Schmunzeln. Etwas Vergleichbares hatte sie bislang nicht zu Gesicht bekommen. Richard konnte sich nicht erinnern, ihre dunklen Augen jemals derart funkeln gesehen zu haben. Sie strahlte wie ein kleines Kind.
Nicht weit entfernt saß Jiaan untätig herum. Zumindest erweckte der Meister der Klinge einen recht überzeugenden Anschein von Untätigkeit. Richard wusste, dass er nur deshalb unauffällig wirken wollte, weil er auf diese Weise alles beobachten konnte. Ein halbes Dutzend d’Haranischer Soldaten schlenderte durch den Saal. Auch anderische Gardisten gab es, an den Eingangstüren.
Einige der anderen Anwesenden hatten die Bibliothek augenblicklich verlassen, weil sie befürchteten, sie könnten die Mutter Konfessor und Lord Rahl stören. Einige wenige waren geblieben, Spione, wie Kahlan ihm gegenüber angedeutet hatte, die man geschickt hatte, um sie zu beobachten. Zu dieser Einschätzung war er mittlerweile ebenfalls gelangt.
Er traute dem Minister ebenso wenig wie Kahlan. Seit das Thema Anderith zum ersten Mal aufgekommen war, hatte ihre offenkundige Abneigung für dieses Land seine Betrachtungsweise einseitig beeinflusst. Der Minister für Kultur hatte nichts getan, um diesen Eindruck zu entkräften, was Kahlans Warnungen vor diesem Mann zusätzliches Gewicht verlieh.
»Hier«, sagte Richard, auf die Seite tippend. »Hier steht es wieder.«
Kahlan beugte sich herüber und warf einen Blick darauf. Sie machte ein Geräusch tief in ihrer Kehle, als sie den Namen erkannte: Westbrook.
»Der Eintrag hier bestätigt, was wir bereits früher gefunden haben«, erklärte Richard.
»Ich kenne den Ort. Es handelt sich um eine kleine Stadt. Soweit ich mich erinnere, ist dort nicht viel zu sehen.«
Richard hob den Arm und versuchte die Aufmerksamkeit der alten Frau auf sich zu lenken. Sie kam sofort herbeigeeilt.
»Ja, Lord Rahl? Kann ich Euch behilflich sein?«
»Madame Firkin, Ihr sagtet, Ihr wüsstet eine Menge über die Geschichte Anderiths.«
»O ja, das stimmt. Das ist mein Lieblingsthema.«
»Nun, ich bin an mehreren Stellen auf einen Ort namens Westbrook gestoßen. Dort heißt es, Joseph Ander habe früher dort gelebt.«
»Ja, das stimmt. Er liegt oben in den Ausläufern der Berge. Oberhalb des Nareef-Tales.«
Das hatte Kahlan ihm bereits erklärt, trotzdem war es gut zu wissen, dass die Frau sie weder zu täuschen versuchte, noch ihnen Informationen vorenthielt.
»Und gibt es dort noch irgendwas von ihm zu sehen? Dinge, die ihm gehört haben?«
Sie lächelte begeistert, offenkundig freute sie sich, dass er etwas über Joseph Ander wissen wollte, jenen Mann, der ihrem Land seinen Namen gegeben hatte. »Nun ja, es gibt dort eine kleine Gedenkstätte, die Joseph Ander gewidmet ist. Die Menschen können sich dort den Stuhl ansehen, den er damals benutzte, sowie ein paar andere kleine Gegenstände.
Das Haus, in dem er wohnte, ist erst vor kurzem niedergebrannt – es war ein entsetzliches Feuer –, einige der Gegenstände konnten jedoch gerettet werden, weil man sie für die Zeit der Reparaturarbeiten am Haus fortgeschafft hatte. Immer wieder drang Wasser ein und vernichtete Gegenstände. Der
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